Wir als AG Feministischer Streik sind Teil des Bündnisses, das anlässlich des Treffens zu 100 Jahren Interpol in Wien die Kampagne „Abolish the police“ organisiert. Dafür stellen wir uns die Frage, was Sicherheit aus linksradikaler/ queer-feministischer Perspektive bedeuten kann. Für uns steht fest: wir definieren Sicherheit anders als die Polizei und wären sicherer ohne sie!
Unsere Perspektive auf Sicherheit widerspricht grundlegend einer Definition, wie sie der kapitalistische Nationalstaat, seine Behörden und dominanzgesellschaftliche Diskurse formulieren:

Während bürgerliche Sicherheit individualisiert, sehen wir Sicherheit durch Vergemeinschaftung entstehen. Ihnen geht es um die Sicherung von Privateigentum, wir wollen menschliche Bedürnisse in den Vordergrund stellen und deren Versorgung kollektiv organisieren.
Sie denken Sicherheit national, für uns ist klar: sie muss global, antinational und sozial sein. Wir sehen wie unter dem Vorwand der Sicherheit vor vermeintlichen Bedrohungen „von außen“, Abgrenzung und Abschottung zunehmen. Dabei bedeuten Grenzen und Grenzregime für Menschen die Sicherheit suchen, Prekarisierung und Ausbeutung, oder sogar den Tod.
Ihre Sicherheit verspricht Ordnung durch Repression, wir sehen, wie Sicherheit durch Kommunikation, Fürsorge und Beziehungsarbeit entsteht. Sie knüpfen das Recht auf Sicherheit an Leistungsfähigkeit – für uns muss sicherer Wohnraum, Ernährung, soziale Absicherung, Gewaltfreiheit, Erholung für alle zugänglich sein.
Ihre Sicherheit will Beweise bei sexualisierter Gewalt, wir fordern Sicherheit für Betroffene statt für Täter. Ihre Sicherheit verhindert keine Femi(ni)zide in Österreich, wir sehen das Patriarchat als Sicherheitsproblem!

Dass wir uns mit Staat, Nation und Kapital nicht einig werden, scheint klar, trotzdem stehen wir auch vor vielen Widersprüchen und Fragen.
Wie schon in unserer Veranstaltungsreihe vor 3 Jahren, in der wir uns mit dem feministischen Streik beschäftigten, haben wir keine Lust, uns diese Fragen alleine zu stellen. Wir wollen sie kollektiv mit euch gemeinsam diskutieren. Unsere Gesellschaft produziert viele Verunsicherungen und Betroffenheiten. Wie werden aus diesen Perspektiven Sicherheit gedacht und wie können solidarische Beziehungen untereinander geknüpft werden? Wie können wir sichere Räume denken, ohne selber in die Denkweisen von Polizei und Securities zu verfallen? Wann ist diese Art von Handeln aber doch nötig und warum? Mit welchen historischen Kämpfen gegen Rassismus setzen wir uns in Bezug, wenn wir „abolish!“ fordern? Was kommt dabei raus, wenn man eine ganze Veranstaltungsreihe damit verbringt, die Polizei aus einer Perspektive zu kritisieren, die kollektive Sorgebeziehungen und Care-Arbeit ins Zentrum stellt?
Finden wir es gemeinsam raus!

November & Dezember 2023
Stadtpaziergang, Filmvorführung, Workshop und Podiumsdiskussion an verschiedenen Orten in Wien.

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[ENG]

As AG Feministischer Streik we are part of the alliance that organizes the campaign „Abolish the police“ on the occasion of the…

Therefore we ask ourselves what security can mean from a radical left/queer-feminist perspective. For us it is obvious that we define security in a different way than the police and, moreover, would be much safer without it! Our perspective on safety fundamentally contradicts the definition of security as formulated by the capitalist nation state, its authorities and dominant social discourses:

While bourgeois security individualizes, we see safety emerging through communitization. They are concerned with securing private property; we want to place human needs in the center and organize their provision collectively.

They think of security as national; for us it is evident that it must be global, anti-national and social. We see how, under the pretext of security against supposed threats „from outside“, borders and isolation are increasing. Yet for people seeking safety, borders and border regimes mean precarity and exploitation, or even death.

Their security promises order through repression; we see how safety comes through communication, care, and work on relationships. They tie the right to security to productivity – for us, safe housing, food, social security, freedom from violence, recreation must be available to all.

Their security wants evidence in cases of sexualized violence, we demand safety for victims not for perpetrators. Your security does not prevent any femi(ni)cides in Austria, we see patriarchy as a threat to safety!

That we do not agree with state, nation and capital seems apparent, nevertheless we also face many contradictions and questions.

As in our series of events 3 years ago, in which we dealt with the feminist strike, we do not feel like asking these questions alone. We want to discuss them collectively with you. Our society produces many insecurities and concerns. How are we thinking security from these perspectives and how can we build relationships of solidarity with each other? How can we think about safe spaces without being caught up in the policing and security mindset? Yet, when is this way of acting necessary and why? What historical struggles against racism do we relate to when we demand „abolish!“? What do we get when we spend an entire series of events critiquing the police from a perspective that centers collective relations of care and care work?

Let’s find out together!

November & December 2023

City walk, film screening, workshop and panel discussion at various locations in Vienna.

Donnerstag –  25.08 –  19.00 Uhr – Kurdischer Verein, Jurekgasse 26, 1150

Im Rahmen einer Vernetzungsreise des Diplomatie Komitees der Jugend Kurdistans nahmen unter anderem auch zwei Aktivisten der Wiener Ortsgruppe der YXK (Verband der Studierenden Kurdistans) an einer einmonatigen Reise nach Südafrika teil. Am 25.08 im Rahmen des nächsten Antifa Cafés im kurdischen Verein in der Jurekgasse 26, 1150 Wien wollen die Aktivist von dieser Reise und ihren Kämpfen berichten. Sie werden von der politischen Vergangenheit, Gegenwart und der möglichen Zukunft des Postapartheid Staates sprechen, hier Parallelen zur Lage Rojavas aufzeigen und über die politischen Organisationen und Bewegungen berichten, die sie dort kennenlernen durften, ihre jeweiligen Situationen und das Potenzial der internationalen Solidarität, die die Bewegungen in sich tragen.

Auch werden sie über die aktuelle Lage in Rojava berichten und wie man als solidarische Linke in Europa damit umgehen kann und wie notwendig diese Solidarität gerade in Zeiten wie diesen ist. In Zeiten in der die herrschende Klasse trotz all ihrer Widersprüche sich in Bündnissen und Abkommen vernetzt, verbündet und gemeinsam agiert, müssen wir umso stärker unsere internationale Solidarität in den Vordergrund rücken und gemeinsam gegen sie agieren.

Kommt geimpft und nach Möglichkeit getestet. Während der Veranstaltung bitten wir euch Maske zu tragen.

Das Antifa-Café findet monatlich statt. Organisiert wird es von der AG Antifa der Plattform Radikale Linke.

Wir wollen den bevorstehenden Internationalen Hurentag, den 2. Juni, nutzen, um zur Solidarisierung mit Sexarbeiter*innen und ihren Kämpfen aufzurufen.

Am 2. Juni 1975 besetzten in Lyon (Frankreich) Sexarbeiter*innen über mehrere Tage eine Kirche, nachdem sie vermehrt Opfer von Polizeirazzien wurden. Seitdem wird an diesem Tag der International Sex Workers Day begangen, um einerseits gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung, andererseits gegen die ausbeuterischen Arbeits- und Lebensverhältnisse von Sexarbeiter*innen zu protestieren und mehr Rechte für Sexarbeiter*innen zu fordern.

Unsere Kämpfe zu verbinden ist uns besonders wichtig, da aktuell viele Länder in Europa das 1999 in Kraft getretene „Schwedische Modell“ zum Vorbild nehmen. Unter dem Deckmantel feministischen Denkens wird vorgegeben, das Patriarchat abschaffen zu wollen, indem der Sexkauf verboten wird. Ein Gesetz gegen den Kauf von Dienstleistungen bestraft jedoch nicht nur die Käufer*innen (vornehmlich Cis-Männer), sondern auch die Anbieter*innen sexueller Dienstleistungen. Ergänzend zum Sexkaufverbot und der de facto Illegalisierung von Sexarbeit verunmöglicht das sogenannte „Kuppeleigesetz“ es, Räume an Sexarbeiter*innen zu vermieten, was deren Arbeit quasi verunmöglicht und Betroffene häufig weiter in die gesellschaftliche Unsichtbarkeit drängt.

Die so befeuerte Kriminalisierung und Repression von Sexarbeit führt nicht zur Beendigung derselben, sondern macht sie für ihre Akteur*innen prekärer und gefährlicher durchzuführen. Die Schaffung von Verbotszonen in Wien, die den Straßenstrich vom zentral gelegenen Prater in die Außenbezirke Wiens verlagerte, wo Sexarbeiter*innen keinerlei Infrastruktur zur Verfügung steht, ist ein eindrückliches Beispiel für diese Entwicklung. Die buchstäbliche Verdrängung und Unsichtbarmachung bestimmter Arbeiten nach dem Motto „Was wir nicht sehen, betrifft uns nicht“, ist Teil der Logik von Carearbeit bzw. ihrer Ausbeutung. Sexarbeit als Arbeit anzuerkennen, bedeutet, diese Arbeitsbedingungen zu bekämpfen. Sie als bestimmte Form von Arbeit – als Carearbeit – zu verstehen, bedeutet, die enorme gesellschaftliche Abwertung und Unsichtbarmachung dieser Arbeit sichtbar zu machen und zugleich ihre Spezifik, das Zusammentreffen verschiedener Ausbeutungsverhältnisse, im Vergleich zu anderen Tätigkeiten nicht auszublenden.

Care/Sorge/Reproduktion…

Im Folgenden schreiben wir abwechselnd und teils synonym von Care-, Sorge- und Reproduktionsarbeit, weil wir diese Debatten nicht trennen wollen. Außerdem wollen wir damit der Komplexität von Care/Sorge/Reproduktion gerecht werden und Offenheit in ihrer Analyse bewahren.

Wir verorten uns mit der Verwendung von Care und Sorge in Debatten um Soziale Reproduktion und setzen uns damit in Bezug zu wichtigen Kämpfen von Feminist*innen aus den 70er und 80er Jahren und ihren Fragen zu Kapitalismus, Ausbeutung und Geschlecht. Zentral dabei war die Erkenntnis, dass der Kapitalismus auf vergeschlechtlichten Trennungen in Lohnarbeit/produktive Arbeit und Reproduktionsarbeit/unproduktive Arbeit, sowie der Aufspaltung von Öffentlichkeit und Privatheit beruht. Produktive Arbeit, also im klassischen Sinne herstellende Arbeit, wurde historisch als männliche Sphäre durchgesetzt und der Öffentlichkeit zugeordnet. Ihr gegenüber galt und gilt die reproduktive Sphäre als Private und traditionell weiblich assoziierte Sphäre. Dieser Sphäre wird in der marxistischen Auslegung die Wiederherstellung von Arbeitskraft (etwa durch Kochen) oder ganzer Lebenszyklen (durch Gebären) zugerechnet und als unproduktive Arbeit abgewertet. Und auch historisch haben sich hierarchische Geschlechterrollen maßgeblich durch die Verdrängung von feminisierten Körpern aus der Öffentlichkeit und vergeschlechtlichte Arbeitsteilung durchgesetzt. Diese gewaltvolle Konstruktion und ihre Konsequenzen gilt es anzugreifen. Daraus ergeben sich feministische Analysen zu reproduktiver Arbeit als jene Arbeit, die ohne Bezahlung und abgewertet zumeist von Frauen und feminisierten Körpern im Zuhause und der Familie verrichtet wird oder schlecht bezahlt und prekär auf migrantische Pflege- oder Hausarbeiter*innen ausgelagert wird.

Gleichzeitig knüpfen wir an migrantische, Schwarze bzw. BIPOC, proletarische sowie trans und queere Perspektiven auf Reproduktionsarbeit an, um die oft sehr binär und weiß/eurozentristisch geführten Debatten herauszufordern und zu überschreiten. Denn die strikte vergeschlechtlichte Trennung von männlicher Lohnarbeit/Öffentlichkeit und weiblicher Reproduktionsarbeit/Hausarbeit hat nie für alle gegolten und nie in ihrer ‚Reinform‘ existiert. Sie ist ein bürgerliches, weißes und patriarchales Ideal. Nie konnten (und wollten) sich alle Menschen in diese Zweiteilung fügen!

Schwarze und of Colour Feminist*innen haben aufgezeigt, dass die wirtschaftlichen Bedingungen, die der Unterscheidung zwischen Öffentlich und Privat zugrundeliegen, Frauen of Color selten zugutegekommen sind und das Private eine andere Bedeutung hat [FN1]. Für von Armut Betroffene und Arbeiter*innenfamilien ließ sich die Trennung ebenso nicht aufrechterhalten, weil das Private nicht unbedingt mit zu Hause und das Öffentliche nicht unbedingt mit Arbeit verknüpft wurde. Zugleich hat die Transnationalisierung von Arbeit und Care dazu geführt, dass reproduktive Tätigkeiten wie Reinigung, Pflege oder Kinderbetreuung am Markt von jenen gekauft werden können, die es sich leisten können und auf diese Weise großteils an migrantisierte Hausarbeiter*innen oder Pflegekräfte ausgegliedert wird.

Für trans, inter oder queere Personen fand Reproduktions-/Care-/Sorgearbeit schon immer jenseits der binären Trennung männlicher Öffentlichkeit und weiblicher Privatheit statt: beispielsweise nicht in der Form klassischer Hausarbeit in der Hetero-Ehe und Kernfamilie, sondern als Community-Care, mit dem Ziel in einer cis- und heteronormativen Welt zu überleben.

Mit diesen Kritiken wird einmal mehr deutlich, wie komplex intersektionale Herrschaftsmechanismen zusammenwirken und die Trennung in zwei getrennte vergeschlechtlichte Bereiche immer gewaltvoll durchgesetzt, und als Ideal wirkmächtig war. Wir verstehen Care-/Sorge-/Reproduktionsarbeit als gesellschaftlich notwendige Arbeit, die für das Fortbestehen und Überleben der Gesellschaft, von Menschen und Communities notwendig ist. Im Kapitalismus wird Reproduktionsarbeit notwendigerweise abgewertet, um sie maximal ausbeutbar zu machen. Diese Abwertung und Ausbeutung ist z.B. durch das Ideal und die Institution der bürgerlichen Hetero-Kernfamilie abgesichert, sie wird mit Zuschreibungen von Privatheit, Liebe, Romantik, Erholung und Harmonie (und Nicht-Arbeit) aufgeladen, wie durch den bürgerlichen Staat, der diese Verhältnisse (vergeschlechtlicht und rassifiziert) organisiert. Eine emanzipatorische und widerständige Perspektive auf Carearbeit kann sich dementsprechend nicht darauf ausruhen, sie grundsätzlich als gut oder schlecht zu bewerten.

und Sexarbeit

Ähnlich facettenreich, wie die angedeuteten verschiedenen Dimensionen der Carearbeit, verhält es sich auch mit dem Feld der Sexarbeit – und insbesondere dem Blick auf sie. Sexarbeiter*innen irritieren die Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem und die damit verbundene Disziplinierung und Kontrolle von (weiblicher) Sexualität, die krampfhaft und moralisierend aufrechtzuerhalten versucht wird. Ihre Verdrängung aus der Öffentlichkeit, aus der Sichtbarkeit der bürgerlichen Mitte, ist dabei nichts Neues, sondern hat die Funktion diese Herrschaftsverhältnisse und gesellschaftlichen Trennungen zu stabilisieren. Die Stigmatisierung, Unsichtbarmachung und moralische Abwertung von Sexarbeit folgt einem alten patriarchalen Schema. Die Rollenangebote, die das Patriarchat für feminisierte Körper bereithält, bewegen sich zwischen Ehefrau und Hure, wie die bürgerliche Zurückhaltung der Hysterie gegenübergestellt wird: Sie sind moralisch aufgeladene Konstrukte, die einer klaren Abwertungslogik folgen, denn was aus der Norm fällt, wird geächtet.

Zugleich ist Sexarbeit besonders für trans Personen und Migrant*innen mit prekären Aufenthaltsstatus häufig eine der wenigen möglichen Arbeitsfelder, in denen sie arbeiten können, da sie von dem cis-sexistischen und rassistischen Arbeitsmarkt ausgeschlossen und diskriminiert werden. Sexkaufverbote („Schwedisches Modell“) lösen diese Situation nicht, da sie weder rassistische Migrationsregime aushebeln noch vergeschlechtlichte Arbeitsverhältnisse und kapitalistische Ausbeutung bekämpfen. Der Kampf um politische und Arbeitsrechte ist also insofern nicht „nur“ ein Kampf um Anerkennung, sondern für viele marginalisierte Gruppen ein Kampf ums Überleben! Diese Kämpfe müssen wir gemeinsam und solidarisch führen.

Jene, die sich für ein Sexarbeitsverbot einsetzen, tragen nicht zu einem Ende von Gewalt bei, sondern stabilisieren gewaltvolle Zustände. Die Soziologin Laura María Agustín spricht von einer „Rettungsindustrie“, die mehr Schaden anrichtet als hilft und sich aus dem Begehren nach Unschuld speist. Es ist das Begehren, kein Freier zu sein und keinesfalls an der Unterdrückung von ‚Frauen‘ beteiligt zu sein.

Die Debatten um Ausbeutung von Erntehelfer*innen und Personen in Privathaushalten oder am Bau werden selten mit derselben emotionalen Vehemenz geführt. Auch werden männliche Sexarbeiter nicht in derselben Weise viktimisiert und voyeuristisch dargestellt wie ihre weiblichen Kolleginnen. Und auch wenn wir es müde sind, das erklären zu müssen, nochmals zur Verdeutlichung: Natürlich reden wir hier über Sexarbeit, zu deren Ausübung sich volljährige Menschen selbst entscheiden und nicht über Menschen-/Frauen-/Kinderhandel. Die Frage nach der Freiwilligkeit von Erwerbsarbeit muss im Kapitalismus ohnehin negiert werden: globale Ungleichheiten, Klasse und Geschlecht verengen die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Branchen noch einmal mehr. Sexarbeiter*innen die Entscheidungs- und Zurechnungsfähigkeit abzusprechen und pauschal zu sagen, dass alle Opfer sind und es nur nicht wüssten, ist allerdings Ausdruck eines patriarchalen Neo-Paternalismus.

Mit der Illegalisierung von Sexarbeit geht die gewaltvolle Repression seitens der Polizei einher. Erniedrigungen, Razzien und polizeiliche Übergriffe gegen Sexarbeiter*innen sind weltweit dokumentiert [FN2]. Der carcerale Feminismus (Elizabeth Bernstein), der die Bestrafung der Freier fordert, richtet sich auch gegen Sexarbeiter*innen. „Aber um wirklich etwas gegen diese Form von Gewalt zu tun, müssten wir uns als Gesellschaft eingestehen, dass wir bestimmte Formen von Gewalt gegen Frauen zulassen, um den sozialen und sexuellen Wert anderer Frauen zu erhalten“, schreibt Mithu M. Sanyal.

Gemeinsam ist vielen Care-Berufen neben der körpernahen Tätigkeit die vergeschlechtliche Konnotation von Sorge, Liebe und Verfügbarkeit als vermeintlich natürliche weibliche Eigenschaft, die als Gegenteil professionalisierter Tätigkeiten dargestellt wird. Sexarbeit als Carearbeit zu benennen bedeutet, auf die Überschneidung rassistischer und sexistischer Arbeitsdiskriminierung zu fokussieren und so Gemeinsamkeiten zwischen der Ausbeutung von (migrantischen) Pflegekräften, Haushalts- und Reinigungskräften und von Sexarbeiter*innen zu betonen. Das politische und strategische Ziel ist, die Kämpfe der Arbeiter*innen zu verbinden, um gemeinsam gegen rassistische, sexistische und kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung aufzutreten.

Dabei dürfen wir keineswegs den Fehler machen, Carearbeit (und die ihr zugeschriebenen Tätigkeiten) zu romantisieren oder sie als dem kapitalistischer Logiken entgegengesetzt zu verstehen. Carearbeit findet in Abhängigkeitsverhältnissen statt, die mit extremer Gewalt einhergehen, die tödlich sein können. Gleichzeitig sind reproduktive sorgende Tätigkeiten nicht per se abzuschaffen, nur weil sie in kapitalistische Verhältnisse integriert werden, sondern umzugestalten. Sie können uns lehren, uns anders zueinander in Beziehung zu setzen, statt vereinzelt oder in heteronormativen Kernfamilien, und damit die strukturelle Sorglosigkeit des Kapitalismus nicht zu akzeptieren.

Wenn wir Sexarbeit in Beziehung zu Carearbeit stellen, meinen wir nicht, dass mensch automatisch ein Recht darauf hat, seine sexuellen Bedürfnisse befriedigt zu bekommen. Wir denken auch nicht, dass wir per se ein Recht darauf haben, im Alter von einer schlecht bezahlten, migrantischen 24-h-Betreuerin gepflegt zu werden und die Wohnung geputzt zu bekommen. In einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft finden wir die Frage nach wahrhaftigen oder legitimen Bedürfnissen nicht zielführend, wir alle sind in unseren Wünschen und Abhängigkeiten von dieser Gesellschaft geformt.  Carearbeit über die Legitimität von Bedürfnissen her zu definieren, ist also nicht möglich. Das gilt genauso für Sexarbeit. Aus der Perspektive des feministischen Streiks blicken wir aber darauf, unter welchen Bedingungen wer sorgt und wer versorgt wird. Hier können wir von Schwarzen, queeren Kämpfen und der Krüppelbewegung lernen: Wem werden sexuelle Bedürfnisse und Lust überhaupt zugestanden? Wem ist es überhaupt möglich, unter diesen gesellschaftlichen Verhältnissen Lust zu leben? Hier eröffnet Sexarbeit abseits von heteronormativen und ableistischen Vorstellungen neue Räume – was nicht bedeutet, dass nicht auch diese Räume durch Kapitalismus, Rassismus, Ableismus und Patriarchat vorstrukturiert sind.

Die Tatsache, dass unser Begehren gesellschaftlich hergestellt ist, impliziert, dass es von Normen geprägt ist und wir selbst lookistische, ableistische, rassistische Ausschlüsse mitproduzieren. Doch Sexarbeit vermag auch mit hegemonialen (und heteronormativen) Vorstellungen von Sexualität zu brechen. Dass es auch queere, trans, inter, nicht-binäre Sexarbeit gibt und auch Sexarbeit von Cis-Männern für (Cis-)Frauen, wird bei den Debatten meist völlig ausgeklammert.

Das Feld der Sexarbeit ist vor allem deshalb so schwer zu begreifen, weil es so vielfältige Formen annimmt, und dort so viele strukturelle Abwertungen zusammenkommen. Deshalb können wir nur kollektiv und im Austausch miteinander verstehen, wie diese komplexen gesellschaftlichen Verhältnisse zusammenwirken und nur so können wir Werkzeuge zu ihrer Bekämpfung entwickeln. Als AG Feministischer Streik versuchen wir mit dem Mittel des Feministischen Streiks, reproduktive sorgende Tätigkeiten zu politisieren und zu bestreiken. Eine solche Bestreikung bringt alle gesellschaftlichen Verhältnisse ins Wanken, die auf ebenjene Tätigkeiten angewiesen sind. Wir halten es für notwendig, vor allem Kämpfe in diesen abgewerteten Bereichen zu unterstützen und solidarisch mit jenen zu sein, die von gesellschaftlichen Ausschlüssen aufgrund dieser Abwertung und Unsichtbarmachung betroffen sind und massive staatliche Gewalt und Marginalisierung erfahren. Denn eine Entsolidarisierung mit Sexarbeitenden ist auch eine Entsolidarisierung mit trans Personen, mit migrantisierten und illegalisierten Menschen, mit Prekarisierten und Marginalisierten.

Die Spaltung von Sorgearbeiter*innen: das Hurenstigma

Bürgerliche Moralvorstellungen spielten und spielen eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung binärer und hierarchischer Geschlechterverhältnisse. Weibliche Sexualität wurde ins Private gedrängt, diszipliniert und tabuisiert. Zwischen der Figur der „Heiligen“ in Form von Mutter/Hausfrau und der „Hure“ im Sinne von Frauen, die ihre Sexualität öffentlich leb(t)en, hatte und hat wenig Platz. Dies ging und geht einher mit der Konstruktion des öffentlichen Raumes als gefährlich und des Häuslichen als sicheren Ort für Frauen. Wir wissen u.a. aus unseren Auseinandersetzungen mit patriarchaler Gewalt und Femi(ni)ziden, dass dies eine Lüge ist.

Vergewaltigung in der Ehe galt in Österreich bis 1989 nicht als Straftatbestand und auch in den aktuellen Debatten um Sexarbeit zeigt sich die Vorstellung von moralisch richtigem Sex in der romantischen Beziehung, welche als gewaltfrei imaginiert wird, und moralisch falschem Sex, der im Bereich des Öffentlichen und im Austausch für Geld stattfindet. Tatsächlich sind beide Formen von Sex (Ehe und Sexarbeit) vertraglich abgesichert und in beiden Fällen spielen oft ökonomische, gesellschaftliche und andere Zwänge eine Rolle. Die Stigmatisierung und Moralisierung von Sexarbeit und die Darstellung von Frauen darin als passive Opfer, reproduziert diese patriarchalen Dichotomien viel mehr, als dass sie sie bekämpft. Gerade Sexualität ist wie kein anderer gesellschaftlicher Bereich von Machtverhältnissen, Moral und Scham geprägt.  Scham ist wiederum eine der repressivsten und nutzlosesten Praxen, sie dient ausschließlich dazu, Subjekte entlang der bürgerlichen Moral zuzurichten und zu disziplinieren.

Precarias a la Deriva, ein feministisches Kollektiv aus Spanien, erklären in ihrem Buch „Was ist dein Streik?“, warum die Abwertung von Sexarbeit als Kontinuum des Hurenstigmas gelesen werden kann:

„Sexarbeiterinnen haben traditionell eine Herausforderung der Vertragsbedingungen dargestellt, denn indem sie Sex anboten/fabrizierten, verlagerten sie ihn vom Bereich der Reproduktion in den der Produktion und vom Privaten ins Öffentliche. Das Stigma der Huren rührt von dieser Subversion des Geschlechtermandats her, das dem Vertrag eingeschrieben ist, zumal dieser den Frauen ein an Ehe und Reproduktion gebundenes, duckmäuserisches Modell der Sexualität auferlegt. Das Stigma, das dazu führt, dass Prostitution nicht als Beschäftigung erachtet wird, ebenso wie die Zusammensetzung des Kollektivs der Sexarbeiterinnen (größtenteils Migrantinnen und oftmals ohne Papiere) und der Mangel an Räumen, in denen diese Profession ausgeübt werden kann, rufen ernsthafte Arbeitsrisiken hervor. Hier liegt denn auch der Ausgangspunkt für die Forderung nach Rechten: Papiere für alle, arbeitsrechtliche Regulierung des Sektors sowie spezifische und angemessen Orte zur Ausübung der Arbeit.“

Das Hurenstigma inkludiert nicht nur sexistische und misogyne, sondern auch antisemitische Elemente. ‚Die Sexarbeiterin‘ galt historisch als zweideutige Figur, als Entartete, Asoziale, in der sich Natur und Ware vereint. Hier deckt sich das Bild der Sexarbeiterin mit der Abwertung von Juden*Jüdinnen: Das Aufweichen von Geschlechterrollen, bzw. das Verlassen ihres zugewiesenen gesellschaftlichen Platzes, wurde und wird in antisemitischen Narrativen Juden*Jüdinnen angehaftet. Wie Karin Stögner in ihrem Essay „Geist und Sexus“ schreibt, wurde die Lust auf Geld sowohl Juden*Jüdinnen, als auch Frauen unterstellt. Die Frau, die „ihren Körper verkauft“ und sich dabei noch dazu der Reproduktion entzieht, „höhlt den Volkskörper von innen her aus“. „Zudem widerspricht die Prostituierte dadurch, dass sie Sex gegen Geld und nicht gegen ein Kind gibt, keinen Stammhalter erzeugt, der weiblichen Rolle im bürgerlichen System der Selbsterhaltung.“

Aus all den genannten Gründen erscheint uns deshalb wichtig, unsere Kämpfe mit jenen von Sexarbeiter*innen zusammen zu führen, statt uns spalten zu lassen. Im Zuge der „Wages for Housework“-Debatten geschah dies bereits. Black Women Wages for Housework haben sich in Kämpfe von Sexarbeiter*innen eingebracht und 1974 schrieb Silvia Federici dazu:

„We want and must say that we are all housewives, we are all prostitutes, and we are all gay, because as long as we accept these divisions, and think that we are something better, something different than a housewife, we accept the logic of the master.“

Wie wir mit Rückgriff auf die Kämpfe und Interventionen von BiPoCs, trans oder der Krüppelbewegung gezeigt haben, ist immer wieder zu reflektieren, wer in diesem „wir“ gemeint ist. Als AG Feministischer Streik stellen wir uns gegen diese Logik und Unterteilung von Carearbeit in „schmutzige“ Sexarbeit und „saubere“ Pflege- und Sozialberufe, denn darin sehen wir eine Reproduktion der Dichotomie „Hure und Heilige“, die in sich sexistisch und misogyn ist, und anhand derer Frauen über Jahrhunderte eine selbstbestimmte Sexualität abgesprochen wurde.

Gegen die Spaltung: gemeinsame politische Perspektiven

Es ist eine zentrale feministische Erkenntnis, dass Carearbeit – sei es Kindererziehung, Pflege von Alten und Kranken, Reinigungsarbeiten, Beziehungspflege – nicht romantisch ist, sondern harte Arbeit, die ebenso in Gewaltverhältnissen stattfindet. Jede Carearbeit ist zutiefst von Herrschaftsverhältnissen durchzogen, insbesondere von Geschlechter- und rassistischen Verhältnissen und wird überwiegend von feminisierten und migrantisierten/rassifizierten Menschen verrichtet. Sie wird unter großteils prekären Umständen mit geringem rechtlichen Schutz im informellen Rahmen geleistet. Rassistische Gesetze führen zu Unterdrückung und Diskriminierung, was die Situation am Arbeitsmarkt noch prekärer macht, die Organisierung zur Durchsetzung ökonomischer Interessen extrem erschwert und dazu führt, dass Menschen unter besonders menschenverachtenden Arbeitsbedingungen ausgebeutet werden.

Mit der Verortung von Sexarbeit im Kontinuum von Carearbeit stellen wir uns gegen die Hierarchisierung verschiedener Carearbeitsfelder. Wir fordern die Aufwertung ALL DIESER prekären, vergeschlechtlichten, rassifizierten und abgewerteten (Care-)Tätigkeiten, um die strukturellen Bedingungen, die sie abwerten und ausbeutbar machen, grundlegend zu verändern. Es geht schließlich darum, alles zu verändern und umzuwerfen! Damit haben wir auch zum Ziel, diese Tätigkeiten und Arbeitsfelder nicht in Konkurrenz zueinander zu stellen und die bestehende Hierarchie nicht zu reproduzieren, die die moralistische Unterscheidung zwischen angeblich ‚reinen‘ und ‚guten‘ (weiblichen) Tätigkeiten und ’schmutziger‘, ‚verwerflicher‘ Arbeit hervorruft.

Feministische Zugänge dekonstruieren das Bild der romantischen Liebesbeziehung und zeigen deren gesellschaftliche Gewordenheit auf. Die Professionalisierung und vertragsmäßige Ausverhandlung von Sex ermöglicht die Entschleierung der Romantisierung der Sexualität, die per se mit Macht zu tun hat. Dennoch: Geht es um Sexarbeit, scheinen auch Linke (pro)Feminist*innen plötzlich ihr romantisches Liebesleben verteidigen zu müssen – abermals eine moralisierende Wiederholung von „Hure und Heilige“. Um eine emanzipatorische feministische Perspektive entwickeln zu können, muss es doch genau darum gehen, mit Federici gesprochen alle „Kämpfe um Reproduktion zu kollektivieren“ und aus der Brille der (sozialen) Reproduktion, die Verhältnisse zu analysieren und kollektiv anzugreifen!

Aus unserer Sicht ist es notwendig, gegen die Spaltung der Sorgearbeiter*innen einzutreten – gerade vor dem Hintergrund, wer diese Arbeit verrichtet, nämlich vorwiegend Migrant*innen, trans Sexarbeiter*innen und all jene, die permanent vom System ausgegrenzt werden.

Die Kritik, dass Kämpfe oft bei der Forderung nach Anerkennungen und Akzeptanz stehenbleiben, ohne dass eine weitergehende Perspektive entwickelt wird, muss ernst genommen werden und trifft die gesamte aktuelle Linke.

Demgegenüber ist es in dieser Debatte zentral, über die wichtige realpolitische Perspektive von Entkriminalisierung, Entstigmatisierung und Institutionalisierung der Interessenvertretung hinauszugehen. Wenn Sexarbeit als Arbeit gefasst wird, sind Klassensolidarität, der Kampf um Rechte und die Selbstorganisation der Arbeitenden (also Ausgebeuteten) zentrale Bestandteile der antikapitalistischen Antwort – nicht als Utopie, sondern als notwendige Bedingung der Möglichkeit einer weiterreichenden Perspektive.

Dass (Sex-)Arbeiter*innen von manchen Linken nicht als Subjekte sozialer Kämpfe und Klassensolidarität anerkannt werden, sondern nur als passive Opfer, die es zu retten gilt, erstaunt uns. Es führt zu einer weitgehenden Spaltung von Arbeiter*innenkämpfen und feministischen Bewegungen.

Der Feministische Streik ist für uns ein revolutionäres Mittel, indem er Kämpfe verbindet, statt sich auf identitären und widerspruchsfreien Posten auszuruhen.

Sexarbeiter*innen organisieren sich! Komm am 2. Juni zum Urban-Loritz Platz und zeig dich solidarisch!

Auf zum 2. Juni! Auf zum Feministischen Streik!

[FN1]: Die nicht entlohnte häusliche Arbeit von Schwarzen Frauen wurde mehr als eine Form des Widerstands verstanden, denn als eine Form der Ausbeutung durch Männer, die Privatsphäre als geschützter Bereich, wo Schwarze Frauen frei sprechen konnten.  Und auch die Vorstellung von zu schützendem Subjekt und häuslicher Mutter in der reproduktiven Sphäre galten nie oder selten für Schwarze und of Colour Frauen. „Es sei Träumerei, sich Schwarze Frauen als einfach als Hausfrauen vorzustellen…“ (Beal 1969) „Für People of Colour gibt es so etwas wie eine private Sphäre nicht, außer der, die sie in einem ansonsten feindlichen Umfeld zu schaffen und zu schützen vermögen.“  (Hurtado 1989)

 

[FN2]: „Sowohl Sexarbeiter:innen als auch geschlechtlich non-konforme/gender non-conforming Menschen wurden sexualisiert, mit Kriminalität verknüpft, Konversionstherapie und/oder strafrechtlicher Rehabilitierung ausgesetzt und pathologisiert (insbesondere in Verbindung mit Kindheitstrauma und Missbrauch). Sowohl trans Personen als auch Sexarbeiter:innen werden von der Polizei und der bürgerlichen Justiz immer noch systematisch als Opfer oder als ’nacktes Leben‘ betrachtet. Diejenigen die sie angreifen, vergewaltigen und/oder töten, werden meistens nicht strafrechtlich verfolgt (vor allem, wenn es sich bei den Tätern um Vertreter der Justiz handelt), oder sie werden entlastet, verteidigt, als ob sie selbst angegriffen worden wären […], oder sie werden schlicht für nicht verfolgenswert gehalten (vor allem, wenn es sich bei den Opfern um Migrant:innen, Menschen ohne Papiere oder indigene Menschen handelt)“ (Lewis 2017)

 

Literatur:

Collins, Patricia Hills (1991):  Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness, and the Politics of Empowerment. New York: Routledge.

Beal, Frances M. (1969): Double Jeopardy: To Be Black And Female. In: Morgan, Robin (Hg.): Sisterhood is Powerful. An Anthology of Writings from The Women’s Liberation Movement. New York: Vintage Books 1970. S. 382-396.

Dalla Costa, Mariarosa/James, Selma (1973): Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. Berlin: Merve.

Federici, Silvia (2012): Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. Münster: Kitchen Politics. Edition assemblage.

Hurtado, Aída (1989): Relating to Privilege: Seduction and Rejection in the Subordination of White Women and Women of Color. Signs, 14(4), 833–855. Online: http://www.jstor.org/stable/3174686

Stögner, Karin (2014): Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen. Baden-Baden: Nomos.

Stögner, Karin (2014): Geist und Sexus. Benjamins Sprachphilosophie als Jenseits des Geschlechterprinzips. Rivista Italiana di Filosofia del Linguaggio, 8(2), 292–303.

Lewis, Sophie (2017): SERF ‘n’ TERF. Online: https://salvage.zone/serf-n-terf-notes-on-some-bad-materialisms/

Sanyal, Mithu M. (2014): Wenn Sex nicht die Antwort ist, was ist dann die Frage? In: Gira Grant, Melissa: Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit. Hamburg: Nautilus.

Precarias a la Deriva (2014): Was ist dein Streik? Militante Streifzüge durch die Kreisläufe der Prekarität. Precarias a la deriva. Wien/Linz: Transversal Texts.

The Yugoslav state founded after the end of World War II was an attempt to create an egalitarian and democratic society. Already in 1948, Yugoslavia broke with the Soviet model and Stalinism and oriented itself towards the goal of workers‘ self-government and the concept of the death of the state.
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With this reorientation of society and economy, the Yugoslav state saw itself on the safe side when it came to the issue of gender equality: thus, the Yugoslav state thought it had already solved the „women’s question“ in the mid-1950s and had achieved gender equality. However, this was not reflected in the real social conditions such as the division of labour and the occupation of leadership positions. The goals set with regard to gender equality were not achieved. A few years later, the ruling communist party realised its failure. However, this realisation remained inconsequential.
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This upcoming event will focus on the history of the socialist state of Yugoslavia with a feminist perspective and a focus on women politics of the ruling communist party.
We want to cover the beginnings of the socialist state and the feminist movements within it, the theoretical context of Yugoslav gender and labor related politics from 1945 until 1991 and also discuss the implications of the history for the feminist movements in the region today.
Therefore we invited comrades from antipolitika, an anarchist journal from the Balkans (https://antipolitika.noblogs.org/) and an ex-member of fAKTIV, a feminist collective from Zagreb, to draw possible lessons for emancipatory politics.

Als sich heute die autonome antifa [w] auflöste, war die Bestürzung und der Schrecken in manchen Rückmeldungen nicht zu übersehen. Wir verstehen, dass es erst mal wie die Kapitulation linksradikaler Antifastrukturen aussehen mag. Wer den Text jedoch aufmerksam gelesen hat, weiß: sowohl die Genoss:innen als Einzelpersonen, als auch dieser Account und die daran hängenden Strukturen gehen nicht verloren. Die Socialmedia Accounts werden bereits seit einem Jahr von der autonomen antifa [w] und der AG Antifa der Plattform Radikale Linke geteilt. Die Zusammenarbeit wurde immer intensiver und wir sind näher zusammengerückt. Von nun an, bespielen also wir, die AG Antifa, die Accounts. Die Plattform Radikale Linke arbeitet in unterschiedlichen Arbeitsgruppen, schaut z.B. bei den Genoss:innen der AG Feministischer Streik Wien vorbei.
Was eine allgemeine Reaktion jedoch auch gezeigt hat: Die Serviceleistung, die die autonome antifa [w] in der österreichischen Linken teilweise erbracht hat. Es sollte nicht von einer einzelnen Gruppe abhängen, dass linksradikale Antifapolitik vorangeht: Organisiert euch, bildet Banden, macht dies in antikapitalistischen Zusammenhängen! Schreibt uns gerne, wenn ihr Fragen habt wie ihr euch in der Plattform Radikale Linke organisieren könnt. Es wird in Zukunft noch viele Anlässe geben gemeinsam auf die Straße zu gehen: Lasst uns zusammenwachsen und eine breite, linksradikale Antwort auf die Verhältnisse finden!

Nach 12-jährigem Bestehen haben wir innerhalb des zurückliegenden Jahres den Entschluss gefasst, das Kapitel der Politgruppe autonome antifa [w] zu schließen. Was uns von den 12 Jahren besonders in Erinnerung geblieben ist – vor allen Dingen jedoch, was uns zu dem Entschluss der Auflösung bewegt hat – könnt ihr im folgenden Text nachlesen.

Um es gleich in aller Deutlichkeit allen Faschos vorwegzunehmen: Dieser Text ist selbstverständlich keinesfalls als Ende linksradikaler (Antifa-)Politik in Wien zu verstehen. Zu zahlreich sind die Gruppen und Zusammenhänge, die sich menschenverachtender Ideologie entgegenstellen – und in denen wir als Einzelpersonen weiterhin aktiv sein werden. Es ist vielmehr das Ende des kollektiven Weges unserer Gruppe. Dabei sind wir davon überzeugt, dass die radikale Linke stärker werden muss und hoffen, dass unsere Reflexion anderen helfen kann, nicht dieselben Fehler zu machen.

TEIL I – Burschenschaften, Nazis und die Gesamtscheiße

Wir blicken auf 12 Jahre kontinuierliche politische Arbeit in unterschiedlichen Feldern mit starkem Fokus auf Antifa-Arbeit zurück. Wir haben uns 2009 als autonome antifa [w] gegründet, um der Verschlossenheit der linksradikalen Szene etwas entgegenzusetzen. Mit offenen Treffen haben wir anfangs versucht, Offenheit und Ansprechbarkeit zu vermitteln, was uns nur in Teilen gelungen ist und ein Jahr später wieder beendet werden musste. Den Spagat zwischen einer offenen linksradikalen Gruppe und Sicherheitsbedürfnissen zu schaffen ist schwierig und mit Widersprüchen durchzogen, die wir zunächst nicht auflösen konnten. Als erfolgreiches Projekt dieser Anfangszeit ist jedoch das Antifa Café zu verzeichnen, das bereits seit einigen Jahren nicht mehr nur von uns als autonome antifa [w] ausgerichtet wird, sondern von der Plattform Radikale Linke übernommen wurde und unsere Auflösung überdauern wird. Das Antifa Café bot und bietet nach wie vor die Möglichkeit, sich inhaltlich auszutauschen, Themenbereiche zu erschließen, die über klassische Antifa-Arbeit hinausweisen, und Argumente zu schärfen.
Zudem war es uns von Beginn an ein Anliegen, Antifa als Aktionsfeld mit antikapitalistischer Gesellschaftskritik zu untermauern, was uns 2010 zum Beitritt zum kommunistischen …umsGanze!-Bündnis bewegte. Das Bündnis mobilisierte mehrmals zu massenhaften Protesten wie Gipfeltreffen oder der EZB-Eröffnung 2015 in Frankfurt, um eine linksradikale Perspektive in oftmals verkürzt kapitalismus- bzw. gar konsumkritische Agitationen zu eröffnen. Dem Beitritt zu …umsGanze! haben wir auch eine europaweite Vernetzung durch die Plattform Beyond Europe zu verdanken, die ihre Highs und Lows zu verzeichnen hat, aber aus unserer Sicht nach wie vor viel Potential in sich trägt.

Als einzige nicht bundesdeutsche Gruppe hatten wir im …umsGanze!-Bündnis immer schon eine Sonderrolle und nicht alle Debatten und Diskurse ließen sich auf die politische Situation in Österreich übertragen. Dennoch hat uns die Zusammenarbeit mit den Genoss:innen in unserer Praxis und Theorie immer gefordert und unsere Inhalte geschärft. Gemeinsam mit …umsGanze!, dem NOWKR-Bündnis und der „Offensive gegen Rechts“ haben wir schließlich einige Jahre lang die Proteste gegen den damaligen Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) organisiert und den Schrecken des rechtsextremen Vernetzungstreffens in die Öffentlichkeit gezerrt. Begleitet von viel Repression konnte man jährlich mal mehr, mal weniger Erfolge erzielen, bis zu 10.000 Antifaschist:innen aus dem In- und Ausland mobilisieren und für eine große mediale Debatte sorgen. Die Öffentlichkeit empörte sich über den gewaltvollen Charakter der Demonstrationen, über unseren offenen Umgang mit unserem Hass auf Nazis und die Verhältnisse, während tausende Faschist:innen in der Wiener Hofburg tanzten, feierten und sich vernetzten. Die Mobilisierungen hatten zur Folge, dass der WKR den Ball nicht mehr ausrichten durfte, was die Veranstaltung an sich jedoch leider nicht verhinderte. Die Wiener Landesgruppe der FPÖ sprang in die Bresche und richtete von nun an den sogenannten „Akademikerball“ als Ersatz aus. Anderer Name, selbe Scheiße. Der Repressionsapparat ließ auch nicht lange auf sich warten: Das NOWKR-Bündnis sah sich 2014 mit Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung konfrontiert, welche letztlich ins Leere führen mussten, so lächerlich und unhaltbar waren die Vorwürfe. Im Jahr 2015 mobilisierte das Bündnis schließlich ein letztes Mal gegen den Akademikerball und löste sich anschließend auf. Die Gründe dafür können hier nachgelesen werden: http://nowkr.at/.

Feind:innenbilder im Wandel der Zeit

Als autonome antifa [w] haben wir stets versucht, zu allen Spektren der extremen Rechten zu arbeiten. Durch die starke Anbindung an die Uni lag unser Fokus zunächst bei Burschenschaften und ihren Umtrieben in der Stadt. Mit der Entstehung unterschiedlicher rechtsextremer bis neonazistischer Strukturen sahen wir uns gezwungen, ihren Mobilisierungen und Aktionen auf der Straße etwas entgegenzusetzen. Mit unterschiedlichen Mitteln versuchten wir stets, ihre Aufmärsche zu verhindern, was teilweise auch von Erfolgen begleitet war. Der Misserfolg des österreichischen Pegida-Ablegers ist einer Mischung aus konsequentem Antifaschismus auf der Straße und der Inkompetenz der traurigen Führungsfiguren der Rassist:innen zu verdanken. Die großen Aufmärsche der „Identitären“ mit internationaler, neofaschistischer Mobilisierung konnten wiederholt verhindert werden. Die Mobilisierungen der Gruppe in Wien wurden weniger und sie mussten vermehrt auf andere Städte ausweichen. Zeitweise lagen die sogenannten „Identitären“ am Boden und versanken zunehmend in der Bedeutungslosigkeit – nach 2015 war es ihnen trotz rassistischen Rückenwinds nicht gelungen, eine tatsächliche Bewegung zu formen, geschweige denn ihr Mobilisierungspotential nachhaltig auf die Straße zu tragen. Aktuell kann beobachtet werden, dass die „Identitären“ erneut versuchen, sich an die Spitze einer reaktionären Formierung in Österreich zu setzen. Allerdings diesmal – im Kontext der Corona-Demos – klar als rechtsextrem in den Medien gekennzeichnet und offen Seite an Seite mit dem weitaus größeren rechtsextremen Problem Österreichs: der FPÖ.

Das Jahr 2015 und der sogenannte „Sommer der Migration“ stellten uns vor neue Herausforderungen. In der Vernetzungsarbeit mit Betroffenen und antirassistischen Strukturen waren wir von Beginn an nachlässig. Gleichzeitig sahen wir uns unzähligen rassistischen Mobilisierungen gegenüber, denen man nur mehr hinterherrennen konnte. Als Erfolg zählen wir die antirassistische Mobilisierung nach Spielfeld, die wir in Zusammenarbeit mit anderen Strukturen auf die Beine stellten. Während einige hundert Faschist:innen an der Grenze zu Slowenien aufmarschierten und sich als Grenzwächter:innen inszenierten, konnten wir mit vier Bussen aus Wien zum Gegenprotest beisteuern. Nachdem der Aufmarsch kurzzeitig gestoppt wurde, mussten die angereisten Nazis feststellen, dass über 80 ihrer Autos schlagkräftig von Antifaschist:innen kommentiert wurden. Dennoch kann der Erfolg der antifaschistischen Aktionen in und um Spielfeld nicht darüber hinwegtäuschen, dass der allgemeinen rassistischen Stimmung und den unzähligen faschistischen Mobilisierungen nachhaltig kaum etwas entgegenzusetzen war – zumindest als kleine, schlecht zugängliche linksradikale Szene. Auch die FPÖ sowie der rassistische Grundkonsens der österreichischen Mehrheitsgesellschaft sind für eine einzelne Antifagruppe kaum zu bearbeitende Gegner:innen. Unsere Erfahrungen im Jahr 2015 führten uns in weiterer Folge zu dem Entschluss, eine größere linksradikale, österreichweite Vernetzung anzustoßen. Das Projekt der Plattform Radikale Linke wurde entwickelt und versucht, in die Tat umzusetzen. Leider scheiterte der Versuch einer österreichweiten Vernetzung rasch – einzig in Wien konnten wir das Konzept umsetzen und linksradikale Politik bis heute mit unseren Genoss:innen bündeln.

Eine weitere Konsequenz aus dem Ohnmachtsgefühl gegenüber einer rassistischen Hegemonie war es, ab 2015 kleinere öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen. Beispielsweise blockierten wir 2016 die Wiener Ringstraße (eine der größten und meistbefahrenen Straßen der Stadt), um auf das mörderische Grenzregime aufmerksam zu machen. Durch die mediale Begleitung auf Social-Media-Plattformen konnten wir durch eine einfache Aktion, die nicht von vielen Personen durchgeführt werden musste, für relativ großes Aufsehen sorgen. Zu den medial wirksamen Aktionen dieser Episode kann sicherlich auch die Enthüllung des Transparents „Österreich du Nazi!“ auf dem Heldenplatz nach der Bundespräsidentenwahl 2016 verstanden werden, das entlarvenderweise nicht nur Herbert Kickl, sondern auch weite Teile des linksliberalen Bürgertums in Erregung versetzte.[1]

Kritisch zu betrachten ist das Fehlen eigenständiger feministischer Schwerpunkte bzw. Mobilisierungen bis zum Jahr 2017. „Make Feminism A Threat Again“ war unsere erste eigenständige Mobilisierung zum feministischen Kampftag am 8. März und legte den inhaltlichen Fokus auf materialistische Zugänge innerhalb feministischer Debatten.[2]
Im selben Jahr noch haben wir gemeinsam mit der Plattform Radikale Linke gegen die Angelobung der FPÖ-ÖVP-Regierung mobilisiert, welche letztlich im Dezember 2017 stattfand und relativ große Proteste sowie die Wiederauferstehung der Donnerstagsdemos mit sich brachte.[3] Doch auch im Vergleich zu den Protesten anlässlich der schwarz-blauen Regierungsbildung im Jahr 2000 zeigte sich die zunehmende Akzeptanz rechtsextremer Ideologie bis ins linksliberale Spektrum.

In unseren letzten Jahren gab es noch vereinzelte Aktionen und Mobilisierungen, die positiv hervorzuheben wären, so z.B. der Exportschlager „Nazis Abschirmen“ 2018, der von vielen Antifas aus unterschiedlichen Städten erfolgreich übernommen wurde.[4] Oder auch unsere Mobilisierung am 1. Mai 2019 zur damals 20 Jahre zurückliegenden Ermordung Marcus Omofumas durch die Wiener Polizei.[5] Zwei Mobilisierungen, die uns als Gruppe nochmal zusammenwachsen ließen, waren zum einen die antifaschistischen Auseinandersetzungen an der Universität Wien rund um den rechtsextremen Professor Lothar Höbelt Anfang 2020, als Faschist:innen kläglich versuchten, die Uni für sich zu vereinnahmen.[6] Zum anderen die Geschehnisse in Favoriten (10. Wiener Gemeindebezirk) im Sommer 2020, als im Juni eine feministische Kundgebung sowie das örtliche Autonome Zentrum (EKH) von türkischen Faschist:innen angegriffen wurden, was tagelange Mobilisierungen und physische Auseinandersetzungen im Bezirk nach sich zog und uns im Nachhinein zum Versuch einer differenzierten analytischen Aufarbeitung veranlasste.[7]

Hervorzuheben ist, dass insbesondere in den letzten Jahren alle Mobilisierungen niemals nur von uns alleine ausgingen. Wir waren und sind unseren Genoss:innen, mit denen uns teils jahrelange gemeinsame Kämpfe verbinden, dankbar für die gemeinsame Zusammenarbeit. Bis heute waren und sind wir nicht die einzige linksradikale (Antifa-)Gruppe Wiens. Neben der Plattform Radikale Linke bildeten und bilden sich immer wieder autonome Zusammenhänge und Bezugsgruppen, die ebenso an Planung und Durchführung von Aktionen beteiligt waren und sind.
Unser politisches Engagement hat sich in den vergangenen Jahren auch weiter in die Plattform Radikale Linke verlagert. Die Erfahrung zeigt, dass die kleingruppenübergreifende Vernetzung nicht nur dem Erfahrungsaustausch dient, sondern sich so auch größere Projekte, beispielsweise in feministischen und antifaschistischen Kämpfen, besser realisieren lassen.

Die autonome antifa [w] war jedoch über weite Strecken ihres eigenen Daseins auch immer wieder Projektionsfläche für kontroverse politische Debatten. So handelte uns unsere klare Positionsbestimmung gegen jeden Antisemitismus den Ruf ein, eine „antideutsche“ Gruppe zu sein, während sich die Wiener Antideutschen an unseren antinationalen Standpunkten abarbeiteten.
Als auf Social-Media stark wahrgenommene Gruppe im deutschsprachigen Raum hat sich an dieser Rolle im Allgemeinen wenig geändert. Im Speziellen zeigte sich dies an Anfeindungen unserer materialistischen Kritik aus Kreisen, die vermehrt Identität und Betroffenheit in den Vordergrund ihres eigenen Engagements rücken. Leider haben wir es nicht (mehr) geschafft, uns theoretisch ausführlicher mit dieser Kritik auseinanderzusetzen, ein eigenes Positionspapier zu dieser Konfliktlinie zu veröffentlichen und unsere eigenen Positionen im Zuge dessen systematisch zu reflektieren.

TEIL II – Neoliberales Teambuilding, Afterwork Beer und Burnout

Die Auflösung der Gruppe geschieht logischerweise nicht aus heiterem Himmel oder aus einer Laune heraus, sondern hat sich – wenn wir ehrlich sind – schon längere Zeit angekündigt. Allein die zähe Arbeit an diesem Auflösungstext, die sich über viel zu lange Zeit hinweg zog, lässt diese Entscheidung definitiv als die richtige erscheinen. An dieser Stelle wollen wir einen Einblick geben, woran es letztlich gelegen hat, dass es uns als der richtige Schritt erscheint, das Kapitel „afa [w]“ für beendet zu erklären. Wir wollen dadurch zum einen selbst unsere Politik- und Umgangsformen der letzten knapp 12 Jahre kritisch hinterfragen, zum anderen gemachte Erfahrungen zugänglich machen.

We’re the cool kids on the block

Insbesondere in den ersten zwei Dritteln unseres Bestehens gefielen wir uns innerhalb der linken und linksradikalen Szene als unbeliebte Stänkerin, die mit markig-selbstverliebten Sprüchen den Finger in die Wunde legte, wo es ihr wichtig erschien. Konkret sichtbar wurde dies der Wiener Linken beispielsweise durch die Verteilung von Texten bei der Aufbruch-Konferenz[8] oder dem Text in Richtung Besetzer:innenmilieu[9]. Unser Anspruch an uns selbst, bloß nicht in reformistische Politik abzugleiten, sondern eine tiefgreifende Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Vordergrund zu stellen, führte zur Ausformung einer ganz bestimmten Gruppenidentität: Dieses Dasein lässt sich in einem Spannungsfeld zwischen der Selbstdarstellung als permanent marginalisierte und isolierte Position einerseits und andererseits als wichtige Stichwortgeberin und Initiatorin begreifen. Marginalisiert, weil man sich kaum Mühe gab, mit seiner Kritik tatsächlich auf breites Verständnis innerhalb der Wiener Linken zu treffen. Gleichzeitig konnte einem kleinen Teil – maßgeblich der uni-nahen linksradikalen Szene – Debattenanstöße geben werden, an denen sich in weiterer Folge abgearbeitet wurde. Jedoch führte dieser Rollenbezug dazu, nach außen in den allermeisten Fällen beinahe misstrauisch all jene Aktionen oder Politikformen zu beäugen, die nicht ganz genau unserem Geschmack entsprachen; zugleich ergab sich daraus auch ein ständiger Rechtfertigungsdruck die eigenen Positionen betreffend. Eine Gruppe, die ständig andere Positionen angreift, zementiert diese Meinung nach außen hin fest. Nur so ließ sich für die einzelnen Genoss:innen die immer wieder Unmut auslösende Haltung auch im Alltag behaupten und gleichzeitig die eigene Analyse in der Szene wirklich stark verankern. Mit sich brachte dies jedoch eine „Parteimeinung“, eine dicke Haut, die die Gruppe sich selbst über die Jahre aneignete. Gleichzeitiger Emporkömmling einer solch harten Weise, einen linken Diskurs zu führen, sind Konkurrenzgedanken anderen Teilen der Szene gegenüber. Einer wirklichen Debatte auf Augenhöhe mit anderen linken Strukturen stand diese Haltung tendenziell im Weg.

Ein solch hartes Auftreten gegen Kritik nach außen hinterlässt zwangsweise auch im Inneren bei den einzelnen ihre Spuren. Zum einen bestärkt sich eine Gruppe, die sich äußerer Kritik verstärkt ausgesetzt sieht, nach innen in ihrer eigenen Haltung. Zum anderen hält ein derartiger sozialer Zusammenschluss interne Widersprüche schwer aus. So wurde Kritik innerhalb der Gruppe z.T. heftig entgegengetreten – konnte fast als Verrat wahrgenommen werden –, was einer tatsächlich lebendigen Debatte (die durchaus hart in der Sache geführt werden kann) in einigen Situationen im Weg stand. Nicht nur eine inhaltliche Selbstkritik wurde durch diese Dynamik erschwert, auch mackriges Verhalten innerhalb der Gruppe wurde so intern kaum thematisiert.

Antifa GmbH – oder: wie gut sich blind die herrschenden Zustände reproduzieren lassen

Ganz grundsätzlich kann die autonome antifa [w] während weiter Teile ihres eigenen Wirkens auf einer Form-Ebene als quasi professionalisiert bezeichnet werden: Explizit wurde sich sehr früh dazu entschieden, dezidiert kein Freund:innenkreis zu sein. Es sollte politisch, der gemeinsamen Sache wegen, zusammengearbeitet werden. Ein Auseinanderbrechen der Struktur – und damit ein Wegfall der eigenen Arbeitsfähigkeit – aufgrund von Loyalitäts- bzw. Beziehungskonflikten jeglicher Art sollte es mit uns nicht geben. Als Genoss:innen ging man zum Plenum, holte sich die ToDos, und arbeitete diese möglichst effizient über die nächsten Tage ab. Als Genoss:innen ging man so zwar auch zum gemeinsamen Biertrinken danach – die Beziehungen innerhalb der Gruppe ähnelten nichtsdestotrotz in weiten Teilen eher denen von Arbeitskolleg:innen, die sich in ihrem Arbeitsverhältnis eben so sehr verstehen, dass die meisten auf ein gemeinsames Bier danach noch Lust haben. Klar gab und gibt es Freund:innenschaften, auch Freund:innenkreise innerhalb der Struktur; eine gruppeninterne, gemeinsame soziale Verantwortung, der sich jede:r verpflichtet gesehen hätte, existierte aufgrund des fragwürdigen Verständnisses von Genoss:innenschaft jedoch nie. Zwar hat unsere Organisationsform zu einem tatsächlich recht hohen Output geführt – die Bearbeitung der eigenen und kollektiven Emotionen sowie sich über die politische Zusammenarbeit hinaus umeinander zu kümmern, wurde dabei jedoch verlässlich ins „Private“ ausgelagert. Dass diese Auslagerung emotionaler Arbeit letztendlich bedeutete, dass sie vor allem von Frauen bzw. FLINTA-Personen erledigt wurde und sich die (cis-)Typen entspannt zurücklehnen konnten, wurde ausgeblendet.

Eine Folge dieses politischen Irrwegs war es, dass das „Buddy-System“, in dem es darum gehen sollte, neue Genoss:innen in die eigenen Strukturen einzuführen und eine Ansprechperson an die Seite zu stellen, um Sorgen, Unklarheiten und Ängste thematisieren zu können, konsequent äußerst lückenhaft umgesetzt wurde. Andere Beispiele waren die blinde Voraussetzung, dass neue Genoss:innen vor Aktionen sowieso schon wüssten, was auf sie zukommt, wie sie sich verhalten müssten etc. „Wer zur afa [w] kommt, muss ja schließlich schon fehlerlose:r Expert:in sein“, scheint hier der dahinterliegende Gedanke gewesen zu sein. Diese „gespielte Perfektion“ endete in völlig ungenügenden Vor- und Nachbereitungen von Demos, Aktionen und Bezugsgruppen („Wir wissen ja eh, wie wir tun“) und führte notwendigerweise zu Überforderung, Unsicherheit und Einschränkung von Aktionsfreudigkeit.
Auch im Umgang mit Repression wurde möglichst rational vorgegangen: Natürlich wurde allen Betroffenen alle materielle und politische Unterstützung entgegengebracht, die notwendig war. Emotionen, Ängste und Bedürfnisse der Betroffenen wurden jedoch nur sehr begrenzt wahrgenommen und dabei die „rationale“ Sichtweise, die die Gruppe selbst durch ihren Umgang produzierte, auch von den Betroffenen implizit und teils auch explizit eingefordert.

Und so reproduzierte unsere Gruppe, im festen Glauben daran, kritisch der eigenen Szene und unversöhnlich den herrschenden Zuständen gegenüber zu agieren, verlässlich die Organisationsform, die sie doch mit am meisten verachtete (und auf die sie spöttelnd herabblickte): die hippe (Polit-)Agentur im Spätkapitalismus. Flache Hierarchien, flexible Arbeitszeiten und gemeinsames After-Work-Beer inklusive. Polemisch ausgedrückt war und ist, wer die Organisierungsform in der autonomen antifa [w] erfolgreich überstanden hat, für den Arbeitsmarkt perfekt vorbereitet: Angeeignet wurden sich Konkurrenzfähigkeit, Durchsetzungsvermögen, Teamfähigkeit, Organisierungskompetenz, Leistungsfähigkeit, projektförmiges Arbeiten (Kampagnenarbeit), Kreativität, die Akzeptanz einer nicht vorhandenen Trennung von Arbeit und Freizeit sowie das in Kauf nehmen schlechter (keiner) Bezahlung.

Ein Auslagern emotionaler Arbeit ins „Private“ führte auch zu dem Phänomen, dass immer wieder Genoss:innen „auf Pause“ gingen – sich also für eine bestimmte Zeit aus der aktiven Politarbeit verabschiedeten, weil sie dem Workload, der kollektiv von ihnen erwartet wurde, nicht mehr gerecht wurden oder zumindest glaubten, dass dies so sei. In weiterer Folge spielten die Personen „auf Pause“ kollektiv auch keine Rolle mehr – es sein denn, sie meldeten sich am Plenum zurück und nahmen wieder aktiv an der Polit-Arbeit teil. Im Vordergrund stand für die Gruppe also nie sich so zu organisieren, dass der immanente Leistungsdruck des Kapitalismus mit politischer Arbeit vereint werden kann. Im Vordergrund standen die Leistungsfähigkeit und der Output der Gruppe nach außen bei gleichzeitiger Austauschbarkeit derjenigen, die intern die (Polit-)Arbeit machen.
Auch der interne Umgang mit Übergriffen von Genossen spricht hier Bände: Weithin wurde (durchaus effektiv) versucht, technische Lösungen zu verfolgen. So folgte ein sofortiger Ausschluss des Täters, Unterstützung und Beteiligung in Betroffenen-, als auch Tätergruppen, sowie die umgehende Umsetzung der Wünsche der Betroffenen. Die eigenen Gefühle, der emotionale Umgang und Reflexion mit dem und über das Thema fanden keinen Raum. Vielmehr lag es auch hier wieder an den einzelnen, sich bei Vertrauenspersonen oder in Therapie Möglichkeiten des Umgangs zu suchen.

Als Einzelpersonen sind auch wir auf – leider allzu bekannte – Probleme und Grenzen linksradikaler (Szene-)Politik gestoßen. Neben einem starken Uni-Bezug stellte unser oben beschriebener „Antifa-Lifestyle“ ein inkompatibles Lebenskonzept zu den schwer zu vermeidenden Sachzwängen der Lohnarbeit und den – zumindest vermeidbaren – Verpflichtungen familiärer Natur dar. Veränderte Lebensumstände, z.B. nach dem Studium, vor allem das Wegbrechen von zeitlichen Ressourcen, stellten uns vor Herausforderungen, an denen wir als Gruppe – wie ganz grundsätzlich weite Teile der linksradikalen Szene – leider gescheitert sind. Dieser Auflösungstext, der nach unserem Geschmack viel zu kurz und sehr lückenhaft geraten ist, zeugt u.a. von diesen Problemen. Unsere individuellen, sich verändernden Lebensumstände gerade im Prozess des Älterwerdens mit dem Anspruch politisch aktiv zu sein in Einklang zu bringen, ist eine Aufgabe, für die wir in Zukunft Lösungen brauchen.

Ausblick: Die Alternativlosigkeit des Antifaschismus in der Spätmoderne

Zuletzt ist noch zu erwähnen, dass obwohl wir den politischen Weg der autonomen antifa [w] schlussendlich beendet haben, viele Einzelpersonen der linksradikalen Arbeit erhalten bleiben. Allen unseren Genoss:innen, die uns ihre Kritik zukommen ließen und allen, die uns bei unserem Prozess der Auflösung unterstützt haben, sei an dieser Stelle unser herzlichster Dank ausgesprochen!
Und um es ganz deutlich zu sagen: Dieser Text ist für Nazis und Bullen kein Anlass zum Feiern. Wir sind weiter da, wir bekämpfen euch in anderen Zusammenhängen. Für alle anderen hoffen wir, dass wir euch einen – wenn auch limitierten und unvollständigen – Einblick in unsere Arbeit und unser Scheitern geben konnten. Der Antifaschismus bleibt nach Auschwitz der notwendige Versuch, das erneute Abgleiten in die Barbarei zu verhindern. Zu dieser Notwendigkeit, und über sie hinaus, hat unsere Gruppe versucht, ihren Beitrag zu leisten.

Um es mit Herbert Marcuse zu sagen: weitermachen!

 

[1] https://autonome-antifa.net/index.php/2016/12/04/kommunismus-oder-barbarei-ein-aufruf-zum-vaterlandsverrat/

 

[2] https://autonome-antifa.net/index.php/2017/01/19/make-feminism-a-threat-again/

[3] https://autonome-antifa.net/index.php/2017/09/20/gegen-die-normalisierung-des-rechtsextremismus/

[4] https://autonome-antifa.net/index.php/2018/04/18/faschistinnen-abschirmen-erfolgreiche-aktion-gegen-die-identitaere-bewegung-in-wien/

[5] https://autonome-antifa.net/index.php/2019/04/06/demonstration-1-mai-2019-20-jahre-danach-omofuma-das-war-mord-gegen-rassistische-polizeigewalt/

[6] https://autonome-antifa.net/index.php/2020/01/07/antifaschistisch-ins-neue-jahr-gegen-rechtsextremismus-an-der-uni-wien/

[7] https://autonome-antifa.net/index.php/2020/06/29/erste-einschaetzungen-und-ueberlegungen-ueber-die-zusammenstoesse-mit-tuerkischen-faschisten-in-wien-favoriten-ende-juni-2020/

[8] https://autonome-antifa.net/index.php/2016/06/06/von-partei-sprache-und-imaginierten-freundinnen-kritik-an-der-aufbruch-konferenz/

[9] https://autonome-antifa.net/index.php/2017/04/21/ueber-das-elend-im-besetzerinnenmilieu-einige-anmerkungen-zur-vergangenen-hausbesetzung-in-wien/

Am 4. Dezember haben wir uns als AG Feministischer Streik an der antifaschistischen Demonstration anlässlich des letzten Aufmarsches von Corona-Leugner:innen und Impfgegner:innen in Wien beteiligt. Organisiert wurde die Demonstration von einem breiten Bündnis, dessen vielfältige Perspektiven sich auch in den Redebeiträgen widerspiegelte. Ein ausführlicher Bericht lässt sich u.a. im Mosaik Blog nachlesen (1). In größeren Medien kam diese linke Antwort auf die Schwurbel- Aufmärsche von denen regelmäßig antisemitische und rassistische Angriffe und Relativierung der Shoah ausgehen nur als “Gegendemonstration” vor. Inhalte, die einen kritischen Blick auf das Vorgehen der Regierung und unterschiedliche strukturelle Betroffenheiten durch die Pandemie und auch die Maßnahmen formulieren, blieben weitestgehend unerwähnt. Es steht also außer Frage, dass wir uns als Feminist:innen und Linke weiter und mehr darum bemühen müssen eigene Positionen sichtbar zu machen und Bündnisse zu schließen, die über einen engen Kreis hinausreichen, auch (aber nicht nur) um in das mittlerweise offen von Rechtsextremen angeführte Treiben auf der Straße intervenieren zu können.

Aber was wir in den letzten Tagen auf Mailinglisten, Social Media Plattformen und persönlichen Diskussionen beobachtet haben, macht uns wütend und lässt uns ehrlicherweise auch erschrocken zurück. Am 10. Dezember soll eine Kundgebung unter dem Motto “Gegen den Impzwang und digitale Überwachung – Selbstbestimmung statt Elitenherrschaft” stattfinden. Unter anderem ein von “Autonomen Feministinnen” unterzeichneter Aufruf macht die Runde, der dazu aufruft, sich als linke Feminist:innen der Demonstration anzuschließen. Dieser Aufruf vermischt und verwischt richtige und wichtige feministische Kritik an Staat und Gesellschaft in Zeiten der Pandemie (Arbeitsbedingungen im Care- Bereich, Anstieg von patriarchaler Gewalt und Feminiziden, repressive und autoritäre Reaktion vom Staat auf die Pandemie…) mit einer imaginierten Bedrohung durch den Impfstoff. Argumentiert wird aus einer strikt techonologiefeindlichen Position, verwiesen wird auf Kämpfe der Frauenbewegung gegen Gentechnik und -manipulation. Auch wird das häufig formulierte Unbehagen vor „Künstlichem“ oder „Technischem“ mit einer Affirmation alles vermeintlich Natürlichen beantwortet, einer groben und undifferenzierten Zweiteilung, die der feministischen Überwindung etwa binärer Geschlechtszuschreibungen entgegensteht. Geteilt wird dabei nicht nur Impf-Desinformation und Wissenschaftsfeindlichkeit. Mit Begriffen wie „Elitenherrschaft“ oder der indirekten Unterstellung, Wissenschaftler*innen und Ärzte*innen würden über ein „geheimes Wissen“ verfügen, drängt sich auch der Eindruck auf, dass komplexe und widersprüchliche Herrschaftsverhältnisse in einem gefährlich vereinfachenden Muster aus „wir“ gegen „die da oben“ aufzulösen versucht werden. Es ensteht also ein wilder Rundumschlag, der es irgendwie schaffen will, den Kampf gegen patriarchale Gewalt mit Protest gegen die Impfpflicht zu verknüpfen, ganz im Sinne der Aneignung des “My Body, my Choice” Slogans durch Impfgegner:innen. Hier sei kurz darauf verwiesen, dass “
My Body, My Choice”, wenn von Impfgegner:innen (beispielsweise im Aufruf zur Demonstration aufgegriffen) aufgesagt, über ein egoistisches Moment nicht weit hinausgeht – mit dem feministischen Kampf für reproduktive Gerechtigkeit und gegen das Sterben durch unsichere Abtreibungen hat das wenig zu tun. Gegen die Impfung an sich und gleichzeitig für eine Entlastung der Arbeiter:innen im Gesundheitsbereich zu argumentieren, ist ebenfalls auf vielen Ebenen widersprüchlich.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Kundgebung zu der da aufgerufen wird:

Als Hauptredner:innen sind Michael Brunner, der Bundesobmann der MfG Partei, angeführt. Diese behauptet zwar immer wieder, keine Single-Issue Politik zu machen, tritt aber unmissverständlich als Impfgegner:innen-Stimme und (noch schlimmer) mit missverständlichen, bis falschen Informationen über die Wirkweise der Impfung auf. Viel Applaus für diese Politik bekam MfG seit ihrer Gründung von rechter und rechtsextremer Seite. Weitere Redner:innen sind Bernhard Heinzlmaier, der als Jugendkulturforscher auf die Bedrohung durch die Antifa verweist und gleichzeitig rechtsextreme Strukturen verharmlost, sei es im geschriebenen Beitrag oder im Gespräch mit Götz Kubitschek bei Servus TV (2). Auch gelistet ist Wilhelm Langthaler von der Anti-Imperialistischen Koordination (AIK). Die AIK ist bekannt für ihre Politik im Zeichen der Bildung einer antisemitischen Querfront gegen den Imperialismus.
Wilhelm Langthaler ließ sich in der Vergangenheit mit Patrick Poppel auf Veranstaltungen ablichten. Poppel war bis 2019 der Chef des Suworow-Institutes, das neben vermeintlichen Linken auch mit der FPÖ bestens vernetzt ist, wie Fotos mit ihm und Gudenus belegen, oder gleich in die neofaschistischen Kreise des ehemaligen Bundessprecher der „Identitären“ und „patriotischen Aktivisten“ Alexander Markovics, der auch mal den Nationalbolschewisten und ausgewiesenen Faschisten Alexander Dugin nach Wien einlud.(3)
Maria Wölfingseder gibt uns ein größeres Rätsel auf, da sie uns bekannt ist als Expertin zu Esoterik und Rechtsextremismus, Kritik von Lohnarbeit und Leistungsgesellschaft und anderen wichtigen Themen. Auch sie ist als Rednerin gelistet.
Und an dieser Stelle sind nur ein paar Beispiele genannt.
Generell findet man auf der Website, die die Demonstration ankündigt, wenig Informationen. Weder wird transparent gemacht, aus welchen politischen Organisationen die Redner:innen kommen, noch gibt es irgendeine direkte Weiterleitung zu einem Aufruf. Kein Wunder, dass die FPÖ diese Demonstration bereits in ihrem Demokalender eingetragen hat, gibt es doch keine Reibungsfläche mit der rechten Hetze nach “Wir sind das Volk”-Manier.

Was wir hier beobachten können ist eine Vermischung (vermeintlich) linker Positionen mit rechten
Strukturen, alles unter den Schlagwörtern “Freiheit, Demokratie, Grundrechte”. Diese Begriffe bleiben erstmal leer und funktionieren genau deswegen auch so gut. So können sich alle ihre ganz individuelle Vorstellung von Freiheit machen, vor allem ihrer eigenen Freiheit, denn die Freiheit der anderen bleibt eine Phrase. Von der Person die Corona leugnet und für eine große Verschwörung hält, über die Person, der es schlicht und einfach zu anstrengend ist, eine Maske zu tragen, bis hin zu Rechtsextremen, die eine Chance wittern, ihre nationalistischen, rassistischen und sozialdarwinistischen Ideologien noch salonfähiger zu machen.
Das kennen wir schon, das ist die Dynamik, die wir seit Monaten bei den Großaufmärschen der Impfgegner:innen, Coronaleugner:innen etc. beobachten können.

Wenn nun aber linke und feministische Gruppen zu Veranstaltungen wie der Demonstration am 10. Dezember aufrufen, stehen wir vor einem Dammbruch der nächsten Stufe hin zu einer Querfrontbildung, von der aus emanzipatorischer Sicht nichts zu holen ist. Linke und feministische Teilnahme legitimiert lediglich reaktionäre Redner:innen und Positionen, macht die Veranstaltung und damit die Bühne größer. Sie versperrt den Blick darauf, wer in unserer Gesellschaft wann und wie vulnerabel ist.
Deswegen rufen wir an dieser Stelle und zum Abschluss alle Feminist:innen auf:
Vernetzen wir uns, streiten wir uns, organisieren wir uns, um einen solidarischen und kritischen Weg durch die Pandemie zu finden. Erarbeiten wir uns Positionen, die Widersprüche aushalten und unversöhnlich bleiben. Aber, liebe Genoss:innen, lasst uns niemals unsere antifaschistische Haltung verwässern, lasst uns niemals mit reaktionären Positionen das Mikrophon hin- und herreichen. Bleiben wir unversöhnlich mit Staat und Kapital. Aber auf eine Art und Weise, die niemals rassistischen, antisemitischen und antifeministischen Stimmen eine Bühne gibt.
Niemals.

Eure Autonomen Feminist:innen der AG Feministischer Streik der Plattform Radikale Linke

Foto: kickthemout.noblogs.org // @KickThemOut161

1) https://mosaik-blog.at/corona-demo-linke-antwort/
2) https://exxpress.at/bernhard-krumpel-es-macht-einfach-spass-den-bullen-eins-in-die-fresse-zu-hauen/
https://www.diepresse.com/5607683/servus-tv-begluckt-einen-radikalen-denker-der-neuen-rechten
3) https://www.derstandard.at/story/2000042003825/sputnik-gudenus-identitaere-russisch-rechtes-rendezvous-in-wien?fbclid=IwAR24V-SXVs8DZWidlfAzr9tWl0_lvjK4CTpz6U8oHl-WxA5DIq70WyyE9GI

[english below]

Rouvikonas, eine anarchistische Gruppe aus Athen, versucht sich schon seit mehreren Jahren durch direkte Aktionen, mediale Aufmerksamkeit und solidarische Arbeit an sozialen Kämpfen zu beteiligen. Ein Mitglied wird über die politische Lage in Griechenland und die soziale Bewegung sprechen sowie Rouvikonas in diesem repressiven Umfeld und den Kämpfen dagegen verorten. Noch vorher soll ein Ausschnitt über die Gruppe aus dem Film L’Amour et la Révolution (Love and Revolution) gezeigt werden, der verschiedene selbstverwaltete Projekte und politische Gruppen in Griechenland aus dem Jahr 2018 darstellen wird.

Das Gespräch wird auf Englisch stattfinden. Anschließend wird es Zeit geben bei Getränken den Abend in entspannter Atmosphäre gemeinsam zu verbringen. Bitte beachtet die Covid-Maßnahmen, kommt geimpft und lasst euch nach Möglichkeit noch vorher testen.

Am Abend können außerdem Spenden gegen die Repression von Rouvikonas abgegeben werden. Diese können auch bis zum 31. Oktober auf das Konto der Roten Hilfe Wien überwiesen werden:
Rote Hilfe Wien
IBAN: AT46 6000 0103 1036 9883
BIC: BAWAATWW
Überweisungszweck: Athen

Antifa Cafe: Social struggles in Greece with a member of anarchist group Rouvikonas

Thursday, 4.11, 19.00. Write us an e-mail to radikale-linke@riseup.net for the place the Anifa Cafe will take place that evening.

Rouvikonas, an anarchist group from Athens, tries since some years to contribute to the social struggle by direct actions with high medial attention and solidarity work. One member will speak about the political situation in Greece as well as the social movement. Also, he will locate Rouvikonas in this repressive environment and the struggles against it. Additionally, a sequence about Rouvikonas of the Film L’Amour et la Révolution (Love and Revolution) will be shown. This film from 2018 shows multiple selforganized projects and political groups in Greece.

The talk will be in English. Afterwards there will be time and possibility to have a drink together. Please note the Covid-measures, come vaccinated and if possible tested too.

Donations can be made against the repression Rouvikonas is facing at the evening or via bank transfer until 31st of October to the account of Rote Hilfe Wien:
Rote Hilfe Wien
IBAN: AT46 6000 0103 1036 9883
BIC: BAWAATWW
Reference: Athen

Anarchistisches Radio, Sendung vom 29.3.2020

– Eine Radiosendung, gestaltet von der AG feministischer Streik der Plattform Radikale Linke

Die Sendung wirft einen Blick auf gesellschaftliche Arbeitsteilung in Zeiten der Corona-Krise aus feministischer Perspektive. Anhand von Schlagwörtern wie „Systemrelevanz“, „Home-Office“ und „Risikogruppe“ geht es in dem Beitrag um Formen von Arbeit, die genauso relevant wie unterbezahlt und abgewertet sind. Es geht außerdem um notwendige soziale Tätigkeiten, die nun zurück ins vermeintlich Private und damit meist in die Hände von Frauen* verlegt werden und um häusliche Gewalt in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen. Mit Interviews zur Situation von Alleinerziehenden, Pflege-Arbeiterinnen* und Arbeiterinnen* in der 24h-Betreuung werden proletarische Perspektiven auf die Corona-Pandemie vorgestellt.

Der Beitrag nimmt auch immer wieder Bezug den Blog Solidarisch gegen Corona u.a. auf die Artikel: „Unglücklich das Land, das Heldinnen nötig hat„, „Das Corona-Regime und der Kampf um Arbeiterkontrolle

 

Hier dokumentiert vom Youtube-Kanal der Translib_Leipzig:

Der halbierte Blick – Kapitalismus und Geschlechterverhältnis. Eine Diskussion in Wien  (https://www.youtube.com/watch?v=r1sOq5VAKVs)

Mitschnitt einer Veranstaltung mit Kat Lux, Johannes Hauer und der Plattform Radikale Linke Wien am 7. Juni 2019.

Teil 1: Textvorstellung: Zu Beginn stellen die beiden AutorInnen ihren Text „Der halbierte Blick“ vor, der eine feministische Replik auf den Text „Der kommende Aufprall“ der Frankfurter Gruppe „Antifa Kritik und Klassenkampf“ ist. Klassenpolitik sollte Feminismus, den Kampf gegen die patriarchale Geschlechterordnung, nicht für zweitrangig erklären, sondern immer konsequent mitdenken – so ein häufiges Lippenbekenntnis. Doch was heißt das eigentlich genau? Zu oft wurden feministische Interessen der Forderung nach revolutionärer Einheit hintangestellt – teilweise auch entgegen den eigenen Absichten, als notwendige Konsequenz eines „halbierten Blicks“, so die These.

Teil 2: Interview / Textgespräch: Anschließend folgt ein ausführliches, teils kontroverses Gespräch der GastgeberInnen mit den AutorInnen. Dabei geht es u.a. um das Verhältnis von Queerfeminismus und Materialismus, fehlende Rassismuskritik im Text, sowie aktuelle politische Strategien im Feminismus, insebsondere den Frauenstreik / feministischen Streik.

Teil 3: Offene Diskussion mit dem Publikum. Diesen Teil veröffentlichen wir nicht, da wir keine Autorisierung eingeholt haben. Es ging um Themen wie: – der Totalitätsbegriff, die materialistische Forschungsmethode und unser Verhältnis zur Dual System Theory von u.a. Heidi Harmann. – Warum sind Stratgie- und Organisationsdebatten überhaupt interessant? An welche Traditionen knüpft der Organisationsvorschlag der Antifa Kritik und Klassenkampf an? – Zu den Begriffen feministischer Streik / Frauenstreik / Carestreik, welche Aspekte werden damit begrifflich jeweils fokussiert, welche fallen runter. – Wie können im Krankenhaus politische Allianzen zwischen PatientInnen / Angehörigen und ArbeiterInnen geknüpft werden.

In der Diskussion beziehen wir uns auf Literatur, die wir hier nochmal zusammengestellt haben:

1. Die beiden Ausgangstexte „Der kommende Aufprall“: http://akkffm.blogsport.de/images/Der… und „Der halbierte Blick“: https://translibleipzig.wordpress.com…

2. Hier gibt es den empfehlenswerten Reader „Revolutionary Feminism“, aus dem wir viele Anregungen haben: https://communistresearchcluster.word…

3. Die Rede von Helke Sander vor dem SDS vom 13.September 1968 gibt es hier: https://www.1000dokumente.de/index.ht… Siehe dazu auch die Beiträge von Barbara Schnalzger und Maria-Elisabeth Neuhauss in der Outside the Box #5: https://www.outside-mag.de/issues/7/p… https://www.outside-mag.de/issues/7/p…

4.Die hervorragende Broschüre von Andrea Trumann und Karl Rauschenbach zu 1968 gibt es hier zu bestellen: http://thugmag.blogsport.de/2018/11/1…

5. Texte aus den 1970ern, die Marx und Freud für eine proto-queere Kritik von Patriarchat und Zweigeschlechtlichkeit verwenden: Shulamith Firestone: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution; Gayle Rubin, The Traffic in Women: https://summermeetings2013.files.word…

6. Wir haben uns auf Texte von Karl Marx und Friedrich Engels bezogen, vor allem auf „Die deutsche Ideologie“ (1845) und „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ (1884), die gibts online auf mlwerke.de.

7. Vortrag von Dennis Schnittler: Negrophobie: Grundsätzliches zum Rassismus gegen Schwarze Menschen. https://www.youtube.com/watch?v=XgrWl…

8. Zur Frauenstreik-Diskussion: Eine Kurzversion des Textes der Hamburger Genossinnen zum Frauenstreik ist im Februar 2020 in der Zeitung Analyse & Kritik Nr. 657 erschienen: Selina Arthur, Malin Ford und Franziska Trillian: »Wir wollen den Alltag politisch verhandeln«. Der Frauen*streik ebnet neue Wege, um aus der Logik des politischen Aktivismus auszubrechen. Die Kritik am Frauenstreik von der US-Gewerkschafterin Marianne Garneau gibt es hier: https://organizing.work/2019/03/the-w…

Garneau bezieht sich auf das einflussreiche Buch Feminismus für die 99% von den linken Profs Nancy Fraser, Tihti Bhattacharya und Cinzia Arruzza, das inzwischen auch auf Deutsch vorliegt, einen Auszug gibt es hier: https://www.zeitschrift-luxemburg.de/…

Weitere lesenswerte Texte zu einzelnen Themen der Diskussion:

9. Metoo & Machtverhältnisse im Kapitalismus: Madeline Lane McKinley: #MeToo from Below, unter https://communemag.com/metoo-from-below/

10. Kritik an Männlichkeit im sozialen Nahbereich: Lore Chevner: Der konkrete Mann, in OTB#5: https://www.outside-mag.de/issues/7/p…

11. Zur „Kölner Silvesternacht“: Mélusine: Das Dilemma von Köln, in OTB#7: https://www.outside-mag.de/issues/9/p…

12. Zur psychoanalytischen Kritik des patriarchalen Geschlechterverhältnisses sehr erhellend: Jessica Benjamin, Fesseln der Liebe

Am 6.2.2020 fand in Wien die Veranstaltung „Trans_in‘_anticapitalist_feminism – Moderiertes Gespräch mit Zoe* Chamonix“ statt – veranstaltet von der AG feministischer Streik der Plattform Radikale Linke. Das Anarchistische Radio hat Teile des Mittschnitts kombiniert mit Musik zu einem spannenden Radiobeitrag verarbeitet:

Anarchistisches Radio, Sendung vom 16.2.2020: “Antikapitalistische, transfeministische Positionen in feministischen Kämpfen”

In der Sendung hören wir Ausschnitte aus der Veranstaltung zu “Antikapitalistischen transfeministischen Positionen in feministischen Kämpfen” am 6.2. in Wien mit Zoe* Chamonix.

Aus der Veranstaltungsbeschreibung: “Trans*feminine Personen stehen im Fokus der Gewalt und Ausbeutung der gegenwärtigen patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft. (…) Nicht zufällig waren trans*feminine Personen, insbesondere of Color, zentrale Akteuer*innen antikapitalistischer queerer Politiken. Nicht ohne Grund en“Trans_in‘_anticapitalist_feminism – ModeriAnarschistischeertes Gespräch mit Zoe* Chamonix“ twickelten trans*feminine Personen in den vergangenen Jahrzehnten solidarische Care Praktiken und Politiken. Entsprechend ist auch die Kritik patriarchal-kapitalistischer Verhältnisse im Fokus zahlreicher transfeministischer Aktivistinnen und Theoretiker*innen. Gleichzeitig finden sich trans*feministische Analysen und Positionen noch immer sehr selten in feministischen linksradikalen Zusammenhängen. Der Status von trans*feminen Personen in vielen dieser Gruppen bleibt prekär und marginal. Ihre Erfahrungen, gesellschaftliche Positionen und Kämpfe finden hier oftmals nur randständige Betrachtung und bleiben untheoretisiert.”

 

 

6. September 2019 – Antifa Warm-Up Demo

Am 15. März 2019 ermordete ein Rechtsterrorist im neuseeländischen Christchurch bei einem Anschlag auf zwei Moscheen 51 Menschen und verletzte weitere 50 schwer. Er mordete aus rassistischer Überzeugung. Seinen Taten lag die explizit rassistische und implizit antisemitische Verschwörungstheorie vom sogenannten „Großem Austausch“ zugrunde. Es waren allen voran die neofaschistischen „Identitären“, welche das rassistische Untergangsszenario vom „Großen Austausch“ maßgeblich popularisiert und mit Kampagnen und Demonstrationen verbreitet hatten. So verwunderte es auch nicht, dass der Rechtsterrorist in Kontakt mit Martin Sellner stand, diesem und „identitären“ Gruppen Spenden überwies und eine Reise durch Österreich machte. Es waren unter anderem diese Ideologien und Erfahrungen, die dem Rechtsterroristen zu seinem mörderischen Handeln motivierten. Die rassistische Erzählung, wonach ein geplanter „Bevölkerungsaustausch“ stattfindet und man die „letzte Generation“ sei, welche den „Untergang des Volkes“ aufhalten könnte, birgt ein enormes Gewaltpotential in sich: Im völkisch-rassistischen Denken spielt das einzelne Individuum keine Rolle, sondern wird nur als Teil des großen Ganzen begriffen, dem es sich unterzuordnen habe. Die nationale „Identität“, die nur durch den Ausschluss der „Anderen“ herzustellen ist, wird als etwas lebensnotwendiges, existentielles begriffen. Der Kampf gegen „Fremde“ in einer von Migration geprägten Gesellschaft erscheint so als Akt der Notwehr – und legitimiert die Wahl der Mittel. Um dieses Einschwören auf den bevorstehenden Kampf, darum geht es auch am 7. September am Wiener Kahlenberg, wenn die neofaschistischen „Identitären“ zum bereits dritten Mal im Gedenken an die „Befreiung Wiens“ von der sogenannten „Türkenbelagerung“ aufmarschieren.

Seit 2017 wird anlässlich der Schlacht am Kahlenberg im Jahr 1683 ein Fackelmarsch zur „Verteidigung Europas“ abgehalten. Mit der Mobilisierung am Kahlenberg soll ein Mythos geschaffen werden, der eine scheinbar ungebrochene Linie zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entstehen lassen soll. Als Teil eines schicksalhaften, überzeitlichen Kollektivs, gelte es auch heute die neue Bedrohung durch „Fremde“ abzuwehren. Diese politischen Mythen sollen eine Identität vermitteln und Emotionen mobilisieren. Nicht ohne Grund ist der Mythos das Gegenteil von Aufklärung und hatte im Faschismus eine wichtige mobilisierende Funktion, die im Endeffekt auf eine „Apologie der Gewalt“ (Georges Sorel) hinausläuft. Es ist durchaus kein Zufall, dass sich auch der rassistische Massenmörder von Neuseeland auf den Mythos von 1683 bezieht. Die Jahreszahl und andere Verweise schrieb er auf seine Waffen, mit denen er 50 Menschen ermordete. FPÖ, Identitäre und auch der Rechtsterrorist von Christchurch teilen eine gemeinsame rassistische Ideologie, die im Endeffekt immer auf (tödliche) Gewalt hinausläuft. Am Kahlenberg geht es um das Einschwören auf eine Gruppenidentität, deren prägenden Merkmale Opferbereitschaft, soldatische Männlichkeit und Kampf sind. Diese rechtsextreme Ideologie, und nicht die Teilnehmer*innenzahl bei ihrem Aufmarsch ist es, von der eine nicht zu unterschätzende Gefahr ausgeht.

Dass Nazis und Faschist*innen morden, wenn sie niemand daran hindert, diese banale wie erschreckende Einsicht wurde nicht zuletzt durch die Mordserie des NSU oder den Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke erneut einer breiteren Öffentlichkeit vorgeführt. In Österreich sind rassistische Positionen längt mehrheitsfähig, auch trotz Ibiza-Skandal lässt sich von einer ungebrochenen rechten Hegemonie sprechen. Obwohl die Rede vom „Großen Austausch“ handlungsanleitend für den Christchurch-Attentäter war und er sein Manifest danach benannt hat, sieht auch die FPÖ keinen Grund darin, von dieser gefährlichen Erzählung Abstand zu nehmen. Strache bezeichnete sogar den „Bevölkerungsaustausch“ als einen „Begriff der Realität“, trotz der Kritik an den ideologischen und personellen Überschneidungen von FPÖ und „Identitären“.

Es ist erschreckend, wie weit sich rechtsextremes Denken in Österreich normalisiert hat und wie stark und erfolgreich damit Politik gemacht werden kann. Mitten im Nationalratswahlkampf wollen wir mit einer antifaschistischen Mobilisierung gegen den Aufmarsch der „Identitären“ am Wiener Kahlenberg klar machen: Make Racist Afraid Again! Rassismus tötet, und deshalb werden wir mit aller Entschlossenheit dafür kämpfen, dass sich diese Ideologien nicht noch weiter ausbreiten. Gegen ihre falsche rassistische Spaltung stellen wir die Perspektive auf eine solidarische herrschaftsfreie Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können, in der ein gutes Leben für alle Menschen möglich ist – eine Gesellschaft frei von kapitalistischer Konkurrenz oder ausgrenzenden Nationalstaaten, samt der menschenverachtenden Ideologien, die ihre Herrschaft absichern und legitimieren.

Beteiligt euch am 7. September an den antifaschistischen Protesten gegen den „Identitären“-Aufmarsch am Kahlenberg. Zeigen wir, dass Rassismus in Wien und auch sonst wo keinen Platz hat!

Ich darf mich zu Beginn für die Einladung und die Möglichkeit hier zu sprechen bedanken. Ich stelle einmal kurz vor, für wen ich hier spreche: Die “Plattform Radikale Linke“ ist ein Zusammenschluss mehrerer linksradikaler, antiautoritärer Gruppen. Wie sich das gehört, haben wir folglich auch keine Parteilinie, sondern sind durch eine gewisse inhaltliche Heterogenität ausgezeichnet und arbeiten an unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Wir haben uns 2016 im Nachgang des Sommers der Migration gegründet, der ja in Österreich bekanntlich sehr schnell vom nationalen Schweineherbst abgelöst wurde. Die radikale Linke stand damals vor neuen Herausforderungen, nämlich einer enormen Anzahl von sehr raschen rassistischen Mobilisierungen auf der Straße. Stellenweise ist es uns dann auch gelungen, der extremen Rechten, bei ihren Versuchen die Straße für sich zu beanspruchen, Steine in den Weg zu legen. Dennoch war das tatsächlich neu: In Österreich gab es für die extreme Rechte auf der Straße immer wenig Resonanzraum, da sie im Parlament so stark durch die FPÖ vertreten war und ist. Uns ging es darum linksradikale Strukturen aufzubauen, bestehende miteinander zu vernetzen, Aktionsformen auszuprobieren und gesellschaftliche Relevanz zu erringen, um so der extremen Rechten auf der Straße etwas entgegensetzen zu können. Antifaschismus und Antirassismus waren also wichtige Bezugspunkte, mit denen wir uns seit unserer Gründung auseinandergesetzt haben.
Doch um dem Aufstieg der extremen Rechten etwas fundamentales entgegenzusetzen, das war uns auch klar, braucht es mehr als Antifaschismus: Es braucht eine zukunftsgerichtete Perspektive jenseits der bestehenden Verhältnisse. Denn die unvernünftige Einrichtung der bestehenden Verhältnisse kann als Brutkasten reaktionärer Ideologien gesehen werden. Nazis und Rassist*innen fallen ja nicht einfach vom Himmel, sondern sind Produkt dieser Gesellschaft. Und außerdem ist die Situation im Kapitalismus auch ohne Nazis schon schlimm genug. Deshalb beschäftigen wird uns aktuell auch mit den Möglichkeiten von Arbeitskämpfen im Sozialbereich oder mit dem feministischen Streik als Mittel, um die geschlechtliche Reproduktionsordnung der kapitalistischen Gesellschaft in Frage zu stellen.

Wir wollen jetzt zu Beginn ein paar Schlaglichter auf unsere theoretische Kritik werfen und dabei aufzuzeigen versuchen, was das für unsere Praxis heißt. Das wird alles nur sehr holzschnittartig möglich sein. Zum Thema antikapitalistische Theorie und Praxis ließen sich ganze Bibliotheken füllen und man könnte sicher stundenlang darüber reden und hätte noch immer nicht alles Wichtige gesagt. Deshalb wollen wir uns hier auf zwei Punkte zu beschränken versuchen, von denen wir denken, dass die einen Unterschied zu vielen anderen Gruppen machen, die schon da waren oder noch kommen. Zum einen ist das eine Kritik des Fetischismus der bürgerlichen Gesellschaft, mit der für uns auch die Notwendigkeit von Ideologiekritik zusammenhängt. Fetischismus ist ein Begriff, der meint, dass Menschen gewissen Mythen anhängen. So wie beispielswiese Menschen, die aus religiösen Gründen irgendwelche Symbole anbeten. Dass Marx diesen Begriff auf die bürgerliche Gesellschaft anwendet – die von sich selbst behauptet vollends aufgeklärt und rational zu sein – will zeigen, dass die Menschen auch hier Mystifikationen und Verkehrungen unterworfen sind, die den kapitalistischen Verhältnissen entspringen. Zum anderen führen ja mehrere Gruppen in ihrem Namen, dass sie eine Partei sind; und andere wollen da unbedingt hin. Wir wollen kurz versuchen zu erklären, warum wir keine Partei sind und warum eine Kritik der Politik, eine Kritik des Staates unweigerlich zu einer Kritik der politischen Ökonomie dazugehört. Der Kritik der politischen Ökonomie geht es ja nicht um eine andere, bessere Wirtschaftstheorie, sondern um eine fundamentale Kritik der kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft inklusive ihrer Begriffe und Institutionen. So geht es beispielsweise auch nicht darum, den Standpunkt der Arbeit einzunehmen, diese zu romantisieren und zu verherrlichen, sondern um die Abschaffung der Lohnarbeit und um die Selbstaufhebung des Proletariats.
Danach wollen wir euch mit einigen Fotos und Videos noch einen Einblick darüber geben, was wir praktisch so treiben.

Kritik des Fetischismus der bürgerlichen Gesellschaft

Zuerst einmal: Was ist das Wesentliche am Kapitalismus? Kapitalismus ist ein historisch spezifisches System von Herrschaft und Ausbeutung. Man spricht von Kapitalismus, wenn der Warentausch das dominierende Prinzip der gesellschaftlichen Produktion ist. Deshalb beginnt Marx seine Analyse im Kapital auch mit der Ware als Basiskategorie, als Elementarform kapitalistischer Gesellschaften. Grob gesagt ist das Ziel kapitalistischer Warenproduktion nicht die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern die rastlose und selbstzweckhafte Vermehrung von Wert und Kapital, also Profitmaximierung. Bedürfnisbefriedigung ist hier nur ein Nebenprodukt, wenn es sich als „zahlungskräftige Nachfrage“ artikuliert. Das Streben nach Profit passiert nicht, weil einzelne Personen besonders böse oder gierig sind, sondern weil das Prinzip der Konkurrenz sie (bei Strafe des ökonomischen Untergangs) dazu treibt, um damit einen Vorteil gegen andere in der Konkurrenz um Absatzmärkte und Profite zu ergattern. Privatproduzent*innen produzieren für einen anonymen Markt, es ist also kein gesellschaftlich geplanter und deshalb strukturell krisenhafter Prozess.
Das hat auch Implikationen für den gesellschaftlichen Charakter von Arbeit im Kapitalismus: Es geht hier um mehrwertbildende, abstrakt gleiche menschliche Arbeit, die die Grundlage für den Profit ist, und um deren maximale Ausbeutung. Die kapitalistische Form der Produktivitätssteigerung, die eine Form zur Erhöhung der Ausbeutungsrate ist, hat dabei – wie wir immer wieder sehen können – ein enormes destruktives Potential gegen Mensch und Umwelt. Menschen werden als Arbeitskräfte vernutzt oder überflüssig gemacht und natürliche Ressourcen werden ausgebeutet. In der Produktion geht es nicht darum, wer was braucht um nach diesem Maßstab zu produzieren, sondern darum, möglichst viel zu produzieren und abzusetzen, ohne zu wissen, ob was man produziert, sich überhaupt absetzen lässt und gebraucht wird. Der kapitalistischen Produktionsweise ist es herzlich egal, wenn Menschen verhungern obwohl genug für alle da wäre. Ob es den Menschen gut geht (oder nicht) ist nicht Kriterium des kapitalistischen Erfolgsmaßstabs, seiner Rechenweise.

Das verrückte an der Herrschaft im Kapitalismus ist aber nun, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse, die von Menschen selbst hervorgebracht werden, als dingliche, natürliche Eigenschaften von Sachen erscheinen. Und damit erscheinen sie auch unveränderbar. Man könnte sagen, die gesellschaftlichen Verhältnisse verselbstständigen sich gegenüber den Produzent*innen. Es gibt hier im Kapitalismus also eine Herrschaft von Sachen, unter deren Kontrolle die Menschen stehen, anstatt sie zu kontrollieren. Marx spricht hier von Fetischismus und Verdinglichung. Man sieht sich den stummen Zwängen dieser Verhältnisse, die sich hinter dem Rücken der Menschen vollziehen, hilflos und ohnmächtig ausgeliefert und das, obwohl das alles nur Resultat unseres eigenen Handelns, unserer eigenen Praxis ist. Es ist Praxis in einem anderen Aggregatzustand, in verhärteter, verknöcherter Form, die unveränderbar erscheint, auch wenn sie von Menschen hervorgebracht wurde und tagtäglich reproduziert wird.

Das ist aber nicht nur ein objektiver Prozess, sondern dieser wiederholt sich auch innerhalb der Menschen: Die Menschen machen sich selbst zu Objekten des gesellschaftlichen Zwangs, verinnerlichen die Herrschaftsimperative von Staat und Kapital. Um diese erträglicher zu gestalten, machen sie sie zu ihrem eigenen Zweck, anstatt sie überwinden zu wollen. Die einzelnen Menschen richten sich also permanent zu staatsloyalen und kapitalproduktiven Subjekten selbst zu; mit all dem Leid und den Entsagungen, die damit einhergehen. Das kennen wir selbst, wenn wir uns früh morgens aus dem Bett quälen und uns zu Tätigkeiten schleppen, die fremdbestimmt sind, die uns keine Erfüllung ermöglichen, wo wir unter einem Kommando und Druck arbeiten, der krank macht. Dieser Anpassungsdruck an die bestehenden Verhältnisse, dieser Konformitätszwang, führt in weiterer Folge auch zu einem Hass auf alles, was sich diesem Zwang tatsächlich oder vermeintlich entzieht: Im Ressentiment gegen Arbeitslose, Jüdinnen und Juden, “Schmarotzer“, “Taugenichtse“, “Querulanten“ drückt sich eine negativ gewendete Wunschvorstellung aus, die auf andere projiziert und an diesen gehasst und verbannt wird. Das, was man selbst nicht haben kann, soll auch kein anderer besitzen. Der Gedanke an Glück muss ausgetrieben werden, wie das Adorno formuliert.

Die eigene Überflüssigkeit und Ersetzbarkeit, die ja auch real erfahren wird, führt zu Ideologien kollektiver Identität wie im Nationalismus und Rassismus. Hier sollen vorpolitische Rechte auf gesellschaftliche Teilhabe, Arbeitsplätze, Sozialleistungen und Privilegien mittels der eigenen „Herkunft“ abgeleitet werden. Und je tiefer verwurzelt dieses Identitätsversprechen ist, desto unumstößlicher scheint es in der allgegenwärtigen Konkurrenz auch zu sein. Hier ist schon angedeutet, dass – wie Marx es formuliert – die Menschen unter den bestehenden Verhältnissen nicht nur geknechtete, sondern auch „verächtliche“ Wesen sind. Dass es die materiellen Verhältnisse sind, die die ihnen Unterworfenen so roh machen. Dass es also objektive Gedankenformen gibt, die der gesellschaftlichen Emanzipation im Weg stehen.
So hat vor allem auch die historische Erfahrung des Nationalsozialismus gezeigt, dass das Proletariat nicht automatisch ein revolutionäres Subjekt ist. Die objektiv Unterdrückten und Ausgebeuteten haben keineswegs auch subjektiv immer das Interesse daran, diese Ausbeutung und Herrschaft abzuschaffen. Viele fliehen in autoritäre Ideologien – weil eine umfassende Veränderung so fern scheint. Real erfahrene Ohnmacht führt also zu autoritären Verheißungen, endlich an der Macht der anderen teilhaben zu können und damit andere zu quälen, um sich für den Schmerz zu rächen, dem man sich unter diesen Verhältnissen selbst auszusetzen hat. Zwar sind die ökonomischen und sozialpsychologischen Strukturen, die autoritäre Einstellungsmuster begünstigen, stets vorhanden, sie müssen aber in bestimmten Konjunkturen erst politisch aktiviert und eingebunden werden. Das ist alles in der Kritischen Theorie von Adorno, Marcuse und Horkheimer sehr gut nachlesbar und ein wichtiger Bezugspunkt unserer Kritik.

Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit eines Antifaschismus, der das Eigeneleben dieser Ideologien ernst nimmt und über die Gefährlichkeit des Umschlagens von bürgerlicher Herrschaft in Barbarei Bescheid weiß. Es ist ja gerade ein wesentliches Merkmal des Rechtsextremismus, dass er die Ideologien und Wertevorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft wie Nationalismus, Sexismus oder Rassismus zuspitzt. Radikaler Gesellschaftskritik geht es demgegenüber um eine Analyse und Veränderung, die an der Wurzel des Problems ansetzt.
Daraus ergibt sich auch die Einsicht, angesichts der offensichtlichen Unvernünftigkeit und Gewaltförmigkeit dieser Verhältnisse, in offene Rebellion gegen sie überzugehen. Diese Lesart der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie, die hier mit der Kritischen Theorie angedeutet wurde, unterscheidet sich gewaltig von jener, die über Jahrzehnte hinweg die dominante Lesart innerhalb der Linken war: Ihnen ging es darum, die von Marx kritisierten Formen und Bewegungsgesetze alternativ für eine sozialistische Wirtschaft anzuwenden, anstatt sie abzuschaffen. Verbunden war das mit einem Revolutionsverständnis, das dem Proletariat eine historische Mission unterstellte und Geschichte als Automatismus hin zum Sozialismus begriffen hat. Die Kritische Theorie drehte dieses Verständnis um: Die Revolution hat nun eher den Charakter einer Notbremse, wie Walter Benjamin sagte – „damit es nicht so weitergeht“, wie Adorno hinzufügte. Wenn man diese Marx-Revision irgendwie begrifflich fassen will, bietet sich der Begriff des Westlichen Marxismus an, der eben die Krise der Arbeiterbewegung im Zuge des 1. Weltkriegs mit seiner Politik der Vaterlandsverteidigung und die Erfahrung des Nationalsozialismus und der Shoah kritisch reflektiert und sich die Frage stellt, warum die Revolution weiter ausbleibt. Neben der Kritischen Theorie spielen da auch Namen wie Gramsci, Lukács oder Althusser eine große Rolle.

Warum wir keine Partei sind: Kritik der Politik und Kritik des Staates

Kommen wir jetzt zum zweiten Punkt: Der Frage also, warum wir nicht als Partei organisiert sind, warum unsere Praxis nicht darauf aus ist, die staatliche Macht zu erobern.

Uns erscheint parteiförmige Politik nicht als Ort radikaler emanzipatorischer Veränderung. Es ist ja auffällig, dass viele, die mit guten und schönen Zielen in die Politik gehen, diese dann nicht umsetzen (können). Und das liegt nicht daran, dass diese Verrat üben oder korrupt sind, sondern an der Form, in der sich Politik im Kapitalismus bewegt. Form schlägt hier Inhalt, die Institutionen sind stärker als die Menschen, die sich mit ihren Idealen in sie rein begeben. Politik im Kapitalismus ist durch einen engen Korridor der Verbesserungsmöglichkeiten im Bestehenden ausgezeichnet. Wenn du jetzt versuchst Politik in den Institutionen zu machen und es dir um mehr geht als um die etwas bessere Verwaltung des schlechten Bestehenden, rennst du ständig gegen eine Wand, die du irgendwann als Grenze akzeptierst.
Grundlage der Politik sind ja Steuereinnahmen, also eine gelingende Kapitalakkumulation auf ihrem Territorium sicherzustellen. Deshalb muss es der Politik darum gehen, die besten Verwertungsbedingungen für das Kapital zu garantieren, anders würden ihr die Mittel fehlen, überhaupt konkrete Politik umsetzen zu können. Gleichzeitig geht es ihr um die Verwaltung dieser falsch eingerichteten Gesellschaft. Das Institutionengefüge des Staates macht Interessenkonflikte verhandelbar, legitimiert und sichert Herrschaft ab. Es geht darum, gesellschaftliche Konflikte und Widersprüche in für die kapitalistische Gesellschaft funktionale Bahnen zu lenken – um “konstruktive Vorschläge“ und Kompromissbildung, wie das dann genannt wird. “Konstruktive Kritik“ will Verbesserung und Verfestigung des Zustands und nicht dessen Abschaffung. Dysfunktionale Positionen, also Sachen, die den Betrieb stören, werden hier verbannt, bekämpft oder versucht zu integrieren. Der Staatskritiker Johannes Agnoli hat das als permanente, gewaltförmige, aber unblutige Konterrevolution beschrieben. In „Die Transformation der Demokratie“ hat er sich ganz genau angeschaut, wie der Staat diesen Prozess der Integration organisiert und dass angesichts der zunehmend „verhärteten Form“ von Politik nichts mehr grundlegend Emanzipatorisches von ihr zu erwarten ist. Er spricht hier vom Sachzwangcharakter der Politik und von einem pluralen Einparteiensystem, weil die politischen Positionen der verschiedenen Parteien zunehmend ununterscheidbar werden.

Deshalb organisieren wir uns im sozialen Raum der Gesellschaft. Vor allem müssen emanzipatorische Veränderungsprozesse schon immer auch ein Vorschein auf die bessere, befreite Gesellschaft sein. Deshalb organisieren wir uns antiautoritär und versuchen entgegen der staatlichen und kapitalistischen Logik gesellschaftliche Gegenmacht aufzubauen. Der Staat ist kein Gegenspieler zum Kapital, sondern sichert dessen Rahmenbedingungen ab. Er ist kein Fahrrad, mit dem man einfach in eine andere Richtung fahren kann.

Beispiele linker Parteien in Europa in letzter Zeit zeigen zudem, dass diese, wenn dann nur gemeinsam mit sozialen Bewegungen an Stärke gewinnen konnten. Sichtbar wurde aber leider auch, was wir schon aus der Vergangenheit kennen: Die linke Syriza konnte in Griechenland so reibungslos wie keine andere Partei die Austeritätspolitik durchsetzen, obwohl sie für das genaue Gegenteil gewählt wurde. Hier wird erkennbar, dass sich staatliche Politik immer wieder an den Zwängen und übergreifenden Dynamiken der Weltmarktkonkurrenz bricht. Gleichzeitig zeigen Bewegungen wie die der Gelbwesten, Fridays4future oder #enteignen, dass man auch ohne Partei Einfluss auf staatliche Politik gewinnen kann. Es sind vor allem soziale Bewegungen, die Inspiration liefern, die Konflikte sichtbar machen und grundlegende Veränderungen anstoßen.

Insgesamt: Wenn es uns darum gehen soll, dass wir eine ganz andere Lebens- und Beziehungsweise der Menschen ohne Konkurrenz, Ausschluss und Herrschaft erkämpfen wollen, dann muss sich das auch in der Art und Weise niederschlagen, wie wir uns im hier und jetzt organisieren und wie wir unsere Kämpfe führen. Diese Frage lässt sich nicht auf den Tag nach der Revolution vertagen.

Theorie und Praxis – um abschließend noch einmal auf das Thema der Lehrveranstaltung zurückzukommen – sind wichtige Bezugspunkte unserer Organisierung, die wir kollektiv wollen. Ohne Erfahrungen, die man macht, wenn man sich ganz praktisch gegen die herrschenden Institutionen stellt, bleibt jede theoretische Reflektion ungenügend. Anders herum aber auch: Wenn ich keine theoretische Kritik betreibe, kann ich das, was ich erfahre, nicht adäquat einordnen. „Herzustellen wäre ein Bewusstsein von Theorie und Praxis, das beide weder so trennt, dass Theorie ohnmächtig würde und Praxis willkürlich“ schreibt Adorno. Aufgabe einer radikalen Linken muss es sein durch Theorie und praktische Vermittlung die Möglichkeit von Veränderung und Emanzipation wieder denkbar zu machen und wachzuhalten. Und so auch ganz konkrete Angebote zu machen, die die Interessen und Bedürfnisse der Menschen betreffen. Denn eines ist klar: Eine Welt frei von Hunger, Leid, Zwang und Elend ist jetzt schon möglich, die Voraussetzungen sind gegeben und es ist genug für alle da. Dafür müssen wir aber ganz grundsätzlich etwas an der Art und Weise ändern, wie die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion gestaltet ist. Und das heißt den Kapitalismus in seiner Gesamtheit, samt Staat, Patriarchat und Nation abzuschaffen.

Wir organisieren regelmäßig inhaltliche Veranstaltungen, beispielsweise im Rahmen des monatlichen Antifa-Cafés und auch abseits davon. Wir organisieren aber auch Demonstrationen und andere Aktionen, beteiligen uns an Bündnissen, und sind teilweise mit verschiedenen linksradikalen Gruppen in ganz Europa vernetzt.

Unsere neue Plakatreihe bringt unsere Wut über die derzeitigen – kapitalistischen – Zustände an die Wände. Die Plakate liegen seit einer Woche in mehreren Lokalen in Wien auf, wir freuen uns über Verbreitung!

dass Arbeit sich lohnt …

„stellen wir sicher, dass sich Arbeit wieder lohnt“ fordert August Wöginger, Klubobmann der ÖVP per Presseaussendung Ende März 2019. Es ist keine Gehaltserhöhung für seine Mitarbeiter_innen, die er bekannt gibt: Die Regierung will die Mindestsicherung kürzen – vor allem für „Zuwanderer“, versteht sich.

Dass keine_r, die arbeitet, dadurch einen Cent mehr bekommt, weiß auch der ÖVPler: Ein „Anreizsystem“ soll durch die Verarmung der Ärmsten geschaffen werden. Das bedeutet: Arbeitslose Menschen werden gezwungen, so sie denn einen Job finden, für noch schlechtere Löhne zu arbeiten. Das senkt das Lohnniveau und freut die Unternehmen, die billige Arbeitskräfte für Geschäfte und Gewinne brauchen. Das hilft dem „Wirtschaftswachstum“ – dem zarten Pflänzchen, um dass sich noch jede Regierung liebevoll gekümmert hat.

Arbeit macht das Leben aus

Wie Wöginger weiß auch Parteikollege Sebastian Kurz, dass sich die Rolle der meisten Menschen in dieser Wirtschaft ziemlich mühsam anfühlt. Wenn wir nicht das seltene Glück hatten, größere Anteile einer Aktiengesellschaft zu erben, sind wir – ökonomisch gesehen – Lohnabhängige: Wir müssen (nach einer Zeit der Vorbereitung in Schule, Ausbildung oder Uni) eine Arbeit finden – sonst können wir uns die Sachen, die es zum Leben braucht, nicht leisten.

Um den gelegentlichen Frust darüber weiß der Kanzler und hat eine Lösung parat: „Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein“ begründet er Pläne zur Reform von Mindestsicherung und Arbeitslosengeld: Wenn es Leuten, die keine Arbeit finden, noch schlechter geht, ist der Zwang so spürbar, dass wir uns glücklich schätzen müssen, wenigstens irgendeinen Arbeitsplatz zu haben. Selbst wenn dieser 8, 10 oder 12 Stunden unseres Tags in Anspruch nimmt und damit „Freizeit“ zu einer lächerlichen Restgröße macht, wissen wir, dass andere schlechter dran sind.

Damit die Wirtschaft brummt

Warum muss gekürzt werden, wenn doch die Wirtschaft brummt? Warum geht es nach Jahrzehnten des Ziels „Wachstums“ nicht irgendwann auch um Verteilung? Warum wird die Arbeitszeit verlängert, wenn es doch Arbeitslose gibt, die keine Arbeit finden?
In dieser Wirtschaftsordnung gibt es einen grundlegenden Gegensatz: Im Kapitalismus geht es nicht um das gute Leben aller Menschen, sondern um die Vermehrung des Kapitals der Unternehmen.
In den Städten werden keine Wohnungen gebaut, wenn Menschen Wohnungen brauchen. In den Fabriken wird kein Essen produziert, weil es Hunger gibt. Nur Bedürfnisse, für die bezahlt wird, werden erfüllt – wenn ein Unternehmen sich davon Gewinne erhofft.

Eine andere Welt ist möglich!

So lange das so ist, ist das Leben für die meisten von uns vor allem eins: Anstrengend und existenzbedrohend. Um diesem Elend ein Ende zu setzen, muss diese Ordnung abgeschafft werden. Eine Welt, in der Arbeit ein Mittel für unsere Bedürfnisse ist, in der wir gemeinsam produzieren, was wir brauchen, ist möglich.

eine Welt ohne (Lohn-)arbeit ist möglich!

Die Tagung findet in Kooperation mit der Plattform Radikale Linke statt, alle Infos und das gesamte Programm gibt’s unter materialfeminism.noblogs.org.


Von materialfeminism.noblogs.org:

Materialistischer Feminismus ist eine Methode zur Analyse von Gesellschaft und Herrschaftsverhältnissen, welche auf einer ökonomischen Ebene die Verbindung zwischen Patriarchat und kapitalistischer Ausbeutung aufdeckt. Dabei wird von einem patriarchalen Verhältnis ausgegangen, um geschlechtsspezifische Herrschaftsverhältnisse analysieren zu können. Patriarchat basiert auf einer geschlechtlichen Teilung in Produktion und Reproduktion, die wiederum mit geschlechterstereotypen Eigenschaften behaftet werden. Dieses Abhängigkeitsverhältnis gestaltet sich nicht als rein ökonomisches, sondern auch als ein ideologisch-verinnerlichtes, daher auch sexuell und emotional.

Trotz einer gesellschaftlichen Veränderung in der Trennung von Produktion und Reproduktion sind Frauen noch immer maßgeblich für care-Arbeit verantwortlich. Die heterosexuelle Familie und Ehe sind für Staat und Kapitalismus nach wie vor ein wichtiger Grundpfeiler um bestehen zu können. Materialistischer Feminismus geht davon aus, dass dieses Zusammenspiel von Kapitalismus und Patriarchat zu einer heteronormativen, binären Geschlechterordnung führt, die Männer und Frauen komplementär, dementsprechend sich ergänzend sehen und deren (hetero-)sexuelles Begehren sich aufeinander bezieht. Eine materialistisch feministische Gesellschaftskritik deckt diese Verstrickungen auf und versucht sie anzugreifen. Um das tun zu können, muss aber erst benannt werden, was besteht, es braucht eine Analysekategorie, die wir am Subjekt Frau festmachen. Aus dem Anspruch der Analyse und Kritik, müssen wir als materialistische Feminist_innen die Praxis des Queerfeminismus kritisieren, in der es keine Analysekategorie gibt, sofern das Subjekt Frau als Auswuchs einer mit einer binären Geschlechterordnung arrangierten Gegebenheit abgelehnt wird, wodurch eine Gesellschaftsanalyse und folglich Kritik verunmöglicht wird.

Materialistischer Feminismus steht daher für eine radikale Gesellschaftsanalyse, die substanzielle Fragen stellt: Wie lassen sich Staat und Kapitalismus feministisch kritisieren? Wie können Patriarchat und dessen Verstrickungen in sämtlichen Lebensbereichen definiert und vor allem angegriffen werden? Und wie relevant ist materialistischer Feminismus überhaupt noch in Zeiten von postmoderner Theorien?

Mit Hilfe diverser Theoretiker_innen und einer Reihe von Vorträgen wollen wir uns diesen Fragen stellen sowie gängige feministische Praxen kritisch beleuchten und auch versuchen, emanzipatorische Alternativen zu finden, die der bürgerlich- kapitalistischen Realität gerecht werden. Wir bemühen uns um eine Kritik, die die wandelnden Ausbeutungsverhätnisse und die steigenden (Selbst-)Optimierungszwänge mit dem heteronormativen, binären Geschlechterverhältnis zusammendenkt und kritisch zu fassen versucht.

Abschließen wollen wir unsere Veranstaltung mit einer Podiumsdiskussion. Diese beschäftigt sich mit Strategien gegen den antifeministischen Backlash, der mit einer konservativen bis rechts(-extremen)Politik einhergeht. Dabei wollen wir diskutieren was feministische Strategien sein können, um gegen antifeministische Tendenzen anzukämpfen und zugleich aufzeigen, dass aus einem universalistischen Anspruch feministische Kämpfe, immer auch Kämpfe gegen bestehende Verhältnisse sein müssen.

Wir plädieren daher für einen Feminismus, der das große Ganze sieht und angreift, was besteht: Staat, Nation, Kapitalismus, Patriarchat!

Den europäischen Burgfrieden stören – Nieder mit der Festung Europa und seinen Verteidigern

 

Erneut wollen einige wichtige Akteur*innen der extremen Rechten einen zur Vernetzung dienenden Kongress in Oberösterreich abhalten. Nachdem die Veranstaltung „Verteidiger Europas“ letztes Jahr in den Redoutensälen des Landes in Linz stattfinden konnte, gibt es dank großer antifaschistischer Proteste dieses Jahr eine Verlegung nach Aistersheim. Nein, dieses 888 Einwohner*innen Dorf muss man bist dato nicht gekannt haben. Der Kongress soll dort in einem Wasserschloss, abgeschottet und abgeschieden von der Außenwelt abgehalten werden. Dass dieser Kongress wieder in Oberösterreich stattfindet scheint auch kein Zufall zu sein, wirft man einen Blick auf die aktuelle politische Lage und die Zusammensetzung der Regierungen auf Landes- und Bundesebene: Oberösterreich scheint das Exerzierfeld der schwarz-blauen Regierung zu sein. Wenig verwunderlich, dass im Rückenwind der rechten bis rechtsextremen Hegemonie, ein Vernetzungstreffen dieser Art also genau in jenem Bundesland über die Bühne geht.

Warum es wichtig ist den Kongress im Fokus zu haben weiß man, wenn man ein Auge auf die organisierenden Strukturen sowie auf die Vortragenden wirft. Auch in diesem Jahr gelten „unzensuriert“ und „info-direkt“ als Hauptorganisatorinnen. Beide zeichnen sich durch aggressiven völkischen Nationalismus aus, beide haben eine nicht abstreitbare Nähe zur FPÖ und auch den „Identitären“, die immer wieder Artikel für das pro-russische „info-direkt“ verfassen. Neben diesen beiden Magazinen sind selbstredend wieder andere dabei, die unterschiedlichen rechtsextremen Millieus entstammen und teilweise fest im Neonazismus verankert sind.

Gibt es in Österreich eine rechtsextreme Vernetzung, ist klar, dass auch Burschenschafter daran beteiligt sind. So werden auch sie dieses Jahr wieder in hoher Anzahl an dem Kongress teilnehmen bzw. sind in den organisatorischen Strukturen verankert. Nicht zu Letzt die jüngsten Ereignisse rund um die pennale Burschenschaft „Germania zu Wiener Neustadt“ zeigen, dass diese kein Problem mit Antisemitismus und Rechtsextremismus haben, sondern das Problem sind.

Inhaltlich stehen natürlich alle Teilnehmenden und Vortragenden des Kongresses für dasselbe, in unterschiedlichen Auswüchsen: völkischen Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus. Ihr Antifeminismus lässt sich am besten am Beispiel des Vortragenden Marcus Franz aufzeigen, der vor seinem Eintritt in die ÖVP im Team Stronach aktiv war. Das Team Stronach führte Beispielsweise Aktionen durch, wo sie Pfefferspray an (österreichische) Frauen* verteilten um sich gegen sexualisierte Gewalt zu wehren. Spätestens seit der Silvester Nacht 2015 ist klar, gegen wen sich Frauen* dem rechtsextremen Diskurs zufolge zu wehren haben: gegen „fremde Invasoren“. Gewalt gegen Frauen* wird unter Außerachtlassung patriarchaler Strukturen ethnisiert und auf Herkunft und „Kultur“ zurückgeführt.

Die Thematisierung von Sexismus und patriarchalen Strukturen dient hier der Projektion nach Außen, um sich selbst davon rein zu waschen. Gleichzeitig sind diese Akteure selbst aber Vorreiter, wenn es darum geht, Macht über die Körper von Frauen* zu verteidigen und Gewalt gegen sie auszuüben, wie die verharmlost bezeichnete „Po-grabsch“ Causa von Marcus Franz beweist. Aber nicht nur Gewalt an Frauen* wird kulturalisiert, sie führen auch einen völkischen Kampf um die Gebärmutter. Während nämlich von „türkischen Gebärmaschinen“ gesprochen wird, delegitimieren sie die Selbstbestimmung von Frauen*, indem Marcus Franz beispielsweise behauptet, die bewusste Entscheidung für die Kinderlosigkeit sei „amoralisch“, weil „wenn das jeder macht, ist die Welt bald tot“. Die Antwort darauf ist eine völkische „Familienpolitik”, in der Frauen* wiederum als Gebärmaschinen wahrgenommen werden. Ihr Körper wird darauf reduziert den „Ethnozid” durch möglichst viele „eigene” Kinder aufzuhalten. Frauen* erscheinen als wehrlose Objekte, welche von Fremden bedroht werden. Dieses Ressentiment ist stark sexuell aufgeladen. Die Reinheit des Bluts des „Volkskörpers” ist direkt mit Sexualität und deren Kontrolle verbunden, da sich über sie entscheidet, wer Teil der Gemeinschaft wird und wer nicht. Folglich liegt ein Hauptaugenmerk auf der Kontrolle der weiblichen Sexualität der In-group und der männlichen Sexualität der Out-group. Letztere wird als übertrieben triebhaft imaginiert, also als besonders bedrohlich. Bei der Sexualität der Frauen* der In-group, wird nur Heterosexualität als vollwertig erachtet, kann doch auch nur so der „rassisch reine” Nachwuchs sichergestellt werden.

Beide derzeitigen Regierungsparteien sind in höchstem Maße an der Umsetzung dieser völkischen Familienpolitik interessiert. Dass Mitglieder solcher Parteien also an diesem Kongress als Vortragende teilnehmen (z.B. der Grazer Vizebürgermeister Mario Eustacchio) ist nicht weiter verwunderlich. Mit Neonazismus und Rechtsextremismus ist in Österreich schon lange kein Skandal mehr loszutreten, dennoch streicht die Teilnahme von Mitgliedern der Regierungspartei FPÖ die Notwendigkeit feministischer und antifaschistischer Proteste hervor. Dass der Faschist und neu gewordene Innenminister Herbert Kickl letztes Jahr als Vortragender an dem Kongress teilnahm und dieses Jahr für die Überprüfung desselben auf Verfassungsfeindlichkeit zuständig ist, setzt die österreichische Tragikomödie weiter fort. Ebenso nimmt der „Freiheitliche Akademiker Verband“ (FAV) als Aussteller am Kongress teil. Zuletzt organisierte der FAV unter großer Beteiligung des jetzigen FPÖ-Gemeinderates Heinrich Sickl Akademien für das „Institut für Staatspolitik“ und die „Identitären“ in Österreich.

Jedoch bleibt die FPÖ nicht die einzige Partei auf dem Kongress. Mit Andreas Lichert wird ein Vertreter der AfD als Redner angekündigt. 2016 hatte die AfD noch (ebenso in anbetracht anstehender Wahlen) auf ihre Teilnahme verzichtet. Andreas Lichert gehört zum völkischen Flügel und ist maßgeblich in das Hausprojekt der „Identitären“ in Halle involviert. Außerdem ist er regelmäßiger Teilnehmer bei den ideologischen Schulungscamps in Schnellroda bei Götz Kubitschek.

Wir als Plattform Radikale Linke wollen uns den organisierten Protesten von „Linz gegen Rechts“ Vorort anschließen und euch einladen mit uns nach Aistersheim zu fahren. Es wird eine organisierte Busanreise aus Wien geben. Wir wollen unserem Widerspruch Gehör verschaffen und dieses Schauspiel des Grauens nicht unkommentiert über die Bühne gehen lassen!

Patriarchat angreifen! Festung Europa niederreißen! Den europäischen Burgfrieden stören!

Nähere Infos zum Kartenverkauf beim Antifa-Cafe: Antifa-Café zum „Kongress Verteidiger Europas“

Beiträge über die Ausstellenden und Teilnehmer*innen des Kongresses: noeflinz.noblogs.org

Aufruf zur Demonstation auf FB: Aufruf Plattform Radikale Linke

Kein Friede mit Österreich!

Als 2000 die FPÖ- und ÖVP-Politiker_innen zur feierlichen Regierungsangelobung wollten, mussten sie aufgrund der Massen an Regierungsgegner_innen auf den Straßen über unterirdische Wege zur Hofburg gelangen. Wir wollen an diese antifaschistischen Proteste anknüpfen und rufen dazu auf, am Tag der Angelobung unsere unversöhnliche Ablehnung gegenüber der Partei der alten und neuen Nazis, des völkischen Rassismus und Nationalismus zu demonstrieren.

Wirtschaftspolitisch versucht die FPÖ eine widersprüchliche Mischung aus Sozialpopulismus auf der einen Seite und völkischem Neoliberalismus auf der anderen Seite: ihre vermeintliche Ablehnung des Neoliberalismus ist rückwärtsgewandt und läuft auf eine ethnische Säuberung der schrumpfenden Zonen des kapitalistischen Reichtums hinaus. Das Hauen und Stechen der kapitalistischen Konkurrenz versucht die FPÖ auf einen Kampf „innen“ gegen „außen“ umzumünzen und so kapitalistisch verursachte Probleme rassistisch zu lösen. Schutzsuchende Menschen werden hierfür als Bedrohung inszeniert, um einen sicherheitspolitischen Überwachungsstaat zu rechtfertigen, in dem der Ausnahmezustand permanent herrscht. Wenn wir dazu aufrufen, sich gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu stellen und ihre Angelobung zu stören, dann nicht, weil wir die anderen politischen Kräfte und Parlamentsparteien als harmlos erachten und sie von ihrer Verantwortung für die sozialen Verwüstungen freisprechen wollen. Sondern, weil der Erfolg der extremen Rechten mitsamt ihrer Verbindungen zum Neonazismus eine graduell höhere Gefahr für alle Menschen darstellt, die nicht zum (produktiven) Teil der „Volksgemeinschaft“ gezählt werden und gleichzeitig einen Generalangriff auf alle (vermeintlich) linken und alternativen Kräfte der Gesellschaft starten wird.

Die Angelobung der kommenden FPÖ-Regierung ist für uns nur der erste Punkt, an dem wir gemeinsam als Linke auf die Straße gehen wollen, um unseren Widerspruch mit dem Bestehenden zu demonstrieren. Die folgenden Jahre werden die gesellschaftliche Linke vor die Herausforderung stellen, die verschiedenen Angriffe, welche die Regierung bereitstellt, gemeinsam abzuwehren und gemeinsam für eine andere Gesellschaft zu kämpfen. Und dieses Gemeinsame muss sich organisieren, damit es schlagkräftig sein kann. Es geht darum die Perspektive neu zu formulieren und aufzuzeigen, dass eine andere Gesellschaft möglich ist. Solidarität statt Abschottung, Gesellschaftskritik statt Schuldzuweisung und Organisation jener, die nicht bereit sind, von der Forderung eines schönen Lebens für alle zurückzutreten. Angesichts der zunehmenden Brutalisierung des Kapitalismus haben wir wenig zu verlieren, aber eine Welt zu gewinnen!

Gehen wir am Tag X gemeinsam auf die Straße. Zeigen wir auf vielfältige und kreative Weise – auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams – unsere Kritik an diesen Zuständen und der FPÖ als Zuspitzung der Zustände.

Die Rechten zu Boden! Für die befreite, solidarische Gesellschaft, ohne Konkurrenz, Ausbeutung und Ideologien der Ungleichheit!


tag-x.mobi

Hier gibts die Broschüre „Just another tag on the wall? – Rechte Symbole auf Wiens Straßen“ als PDF zum Downloaden in Druckansicht oder im Einzelseiten-Format. Just another tag on the wall? weiterlesen

Demnächst erscheint unsere Broschüre zu rechten und rechtsextremen Symbolen in Wien.

Die Idee für die Broschüre entstand, da wir tagtäglich an reaktionären Stickern, Tags und Plakaten vorbei gehen – wir empfanden, dass es notwendig wäre, diese zu kontextualisieren und Hintergründe über die dadurch verbreiteten Inhalte zugänglich zu machen. Dabei gehen wir auf einige dieser Inhalte und manche Personen und Gruppen, die diese Symbole vertreten und verbreiten ein.

Mit der Broschüre möchten wir aufzeigen, dass wir fast immer und überall von rassistischen, sexistischen, nationalistischen und antisemitischen Botschaften umgeben sind – häufig, ohne dass uns das bewusst ist. In der Broschüre beginnen wir damit in unserer unmittelbaren Umgebung, den Straßen und öffentlichen Plätzen der Stadt. Wir gehen dabei einerseits ganz konkret auf einzelne Gruppen und deren ekelhafte Ideologien ein. Damit diese Informationen besser eingeordnet werden können, steht im ersten Teil der Broschüre andererseits die Frage danach im Vordergrund, welche Rolle der Rechtsextremismus in der Gesellschaft eigentlich einnimmt: Von wem sprechen wir, wenn wir von Rechtsextremist_innen sprechen und welche Rolle spielt die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft gestaltet ist dabei? Es ist uns also wichtig, über die unmittelbare Erscheinungsebene hinaus die gesellschaftlichen Verhältnisse mitzudenken. Dabei ist die Broschüre als Einführung gedacht. Sie soll allgemein verständlich sein und richtet sich vor allem an Menschen, denen diese Themen (noch) neu sind.

Wir haben im Laufe des Entstehungsprozesses viel diskutiert, z.B. darüber, wie wir verhindern können, dass auch unsere Darstellung vereinfachende oder gar problematische (nationale) Gruppenzuschreibungen macht. Die Broschüre enthält nicht nur unsere eigenen Texte, sondern es haben sich auch andere Personen und Gruppen mit Beiträgen beteiligt.

Beim Antifa-Cafe am 20.06. im EKH wird die Broschüre druckfrisch aufliegen und vorgestellt werden.

Und hier der Link zu Facebook Seite der Broschüre: facebook.com/justanothertag

Im folgenden Text geht es darum, aufzuzeigen, wie das Gedenken an problematische Symbolfiguren, wie Karl Lueger, mit aktuellen Wahlen und Wahlk(r)ämpfen insofern zusammenhängen, als dass sie deutschnationale und antisemitische Kontinuitäten aufzeigen. Dafür wird erst die Person Karl Lueger beschrieben um über die Frage, wem erinnert wird, zu Aktuellem zu gelangen.

Karl Lueger ist einer der berühmtesten ehemaligen Bürgermeister Österreichs und – vor allem im Wiener Stadtbild – nach wie vor allgegenwärtig. Neben Statuen finden sich zahlreiche Gemälde und Erinnerungstafeln in ganz Wien und auch in anderen Bundesländern wieder. Die unhinterfragte Verehrung seiner Person ist vor allem auf die städteplanerischen Umsetzungen seiner Zeit zurückzuführen. Die Tatsache, dass er Antisemit war und mithalf, den Antisemitismus gesellschaftsfähig zu machen, wurde lange Zeit ignoriert. Luegers Wirken fällt in die Zeit vor 1938 und wurde folglich im Rahmen des Rückbenennungsprozesses nicht beachtet1.

Erst um 2000 erreichte die Kritik an seiner Person eine breite Öffentlichkeit. Trotz eines Arbeitskreises zur Umgestaltung des Lueger-Denkmals am Lueger-Platz2 und zahlreicher eingereichter Vorschläge sowie kritischen Auseinandersetzungen mit seiner Person ist außer der Umbenennung des Karl-Lueger-Rings im Jahr 2012 nicht viel passiert.

Lueger wurde 1844 in eine Familie mit wenig materiellen Mitteln geboren. Ein Stipendium finanzierte ihm seine Schullaufbahn und das anschließende Studium der Rechtswissenschaften. Während seiner Studienzeit wurde er Mitglied der nichtschlagenden Verbindung „Hilaria“. Seine politische Karriere begann 18683. 1887 bildete Lueger die Spitze der „Vereinigten Christen“, einem antiliberalen und antisemitischen Interessensverband, aus dem heraus er innerhalb weniger Jahre die Christlich-Soziale Partei (CS) gründete, die Vorläuferin der heutigen ÖVP4.

Lueger wurde zwar acht Mal zum Bürgermeister gewählt, jedoch erst beim fünften Mal vom Kaiser bestätigt5, da dieser ihn aufgrund seiner antisemitischen Äußerungen nicht als amtstauglich anerkennen wollte. Er hat durch „volksnahe“, leicht verständliche Rhetorik und einer Kombination aus Antisemitismus, Antifeminismus und Religiosität die Menschen begeistert6. Teilweise wird argumentiert, Lueger habe den Antisemitismus nur als Mittel zum Zweck benutzt, um eine Machtposition zu erlangen, die es ihm erlauben würde, seine Pläne für Wien umzusetzen. Dabei wird übersehen, dass er auch nach der Machterlangung nie davor zurückschreckte, mit Antisemiten7 zusammenzuarbeiten. Beispielweise hatte er kein Problem damit, dass Franz Klier, Leiter der „Reichspost“ und Sekretär des von Lueger einberufenen Frauenbundes, die Frauen dazu aufforderte, ihre Kinder judenfeindlich zu erziehen8.

In Erinnerung blieb er trotzdem primär wegen der vielen städtebaulichen Maßnahmen, die unter seiner Zeit als Bürgermeister umgesetzt wurden. Aufgrund hoher Landflucht hat sich Wien Ende des 19. Jahrhunderts stark vergrößert. Lueger hat seine Amtszeit dazu verwendet, die nötigen kommunal- und sozialpolitischen Maßnahmen umzusetzen9.

Doch kann man spezifisch an seiner Person die Errungenschaften festlegen oder war es einfach der Zeit geschuldet, dass diese Maßnahmen getroffen wurden? In Hinblick auf andere westeuropäische Staaten zeigt sich, dass die Stadtentwicklung Hand in Hand mit der Industrialisierung gegangen ist und eine Notwendigkeit war, die in benachbarten Staaten teils früher, teils später umgesetzt wurde. In dem Zusammenhang muss auch erwähnt sein, dass er seine Ideen sehr schnell, aber ohne Rücksicht auf Kosten umgesetzt hat. Nach seinem Tod hat er eine stark verschuldete Stadt zurückgelassen – etwas, das selten Erwähnung findet10. Die Inlandsschulden sind zwar durch Inflation nach dem 1. Weltkrieg weggefallen, die Auslandsschulden mussten aber langwierig zu tragbaren Zahlungen ausverhandelt werden11.

Lueger hat den Personenkult um sich schon während seiner Lebzeiten zelebriert. Er hat sichergestellt, dass notwendige bauliche Maßnahmen dieser Zeit, die von öffentlichen Geldern finanziert wurden, zu großen Teilen als seine Leistungen betrachtet wurden bzw. werden. In seinem Größenwahn hat er zahlreiche Gemälde anfertigen lassen und darauf geachtet, dass jedes unter ihm gebaute Gebäude auch eine Gedenktafel erhält.

Die Wurzeln des Antisemitismus sind tief in der modernen Gesellschaft verankert und wuchsen nicht erst durch Karl Lueger. Antisemitismus tritt in vielerlei Formen auf und hat sich im Laufe der Geschichte mehrmals gewandelt. Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurden Jüdinnen_Juden „nur“ als Angehörige einer Religion betrachtet und aufgrund dessen diskriminiert, verfolgt und vertrieben. Der christliche Antisemitismus zeichnet sich dadurch aus, dass die jüdische Gemeinde als „Jesusmörder“ und „Brunnenvergifter“ galt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts und dem Übergang von der Feudalgesellschaft zum Kapitalismus wandelte sich der religiös motivierte Antijudaismus zu einem säkularen, modernen Antisemitismus12.

In der österreichischen Geschichte wird häufig betont, Karl Lueger hätte den Antisemitismus salonfähig gemacht. Lueger war ohne Zweifel Antisemit – Antisemitismus war allerdings bereits vor Lueger tief in der Gesellschaft verankert und stellt bis heute eine Kontinuität dar. Die Personifizierung einer Ideologie als „Karl Lueger, der Antisemit“ ist gefährlich. So ist es unbedingt notwendig, die Ideologie des ehemaligen Wiener Bürgermeisters zu benennen und sein heroisierendes Gedenken zu hinterfragen und zu stören. Dennoch birgt die Konzentration auf eine Person als Salon-Antisemiten die Gefahr, dass gesellschaftliche Zusammenhänge auf einige Wenige projiziert werden, wodurch verschleiert wird, dass es sich um die Gesellschaft als Ganzes handelt, nicht um einzelne Akteur_innen als Ausnahmeerscheinung. Durch die Fixierung auf Karl Lueger als Antisemiten werden gesellschaftliche Zustände im 19. und 20. Jahrhunderts ausgeblendet und Antisemitismus vor dem Nationalsozialismus fälschlicherweise als Randphänomen betrachtet.

Im öffentlichen Leben und im öffentlichen Raum stellt sich immer wieder die Frage, wer wem aus welchen Gründen und an welchen Orten wann erinnert und wem überhaupt erinnert werden darf. Dabei geht es um erwünschte und unerwünschte Geschichtsschreibungen sowie Kontinuitäten, welche in Gesellschaftsordnungen eingewoben sind. Denkmäler zeigen dabei auf eine besonders plakative Weise Machtverhältnisse und Herrschaftsstrukturen auf. Im deutschsprachigen Raum (und darüber hinaus) wird besonders gerne weißen (oft älteren) Männern* gedacht, die als so wichtig gezeichnet werden, dass ihre Namen auch über den Tod hinaus weiterbestehen sollen. Im Gegensatz dazu gibt es Namen, an die sich kaum jemand erinnern möchte. Denkmäler manifestieren Geschichte, damit zeugen sie auch davon, wie regionale Geschichte geschrieben wird und wie der öffentliche Umgang mit ihr ist.

Gerade in NS-Täter_innenländern wie Österreich wird ungern an jene gedacht, die Opfer des Nationalsozialismus waren und wurden. Damit wird Gedenken fast schon zu einem Akt des nachträglichen, symbolischen Widerstandes, wenn an jene Personen (und Namen) gedacht wird, die der Nationalsozialismus auslöschen wollte. Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus scheint so sehr zu provozieren, dass Denkmäler, die den Ermordeten ihre Namen zurückgeben wollen, wie das Denkmal der Namen in Villach, mehrfach zerstört werden13. Weitere Beispiele sind Denkmäler wie jenes in Kemeten in Erinnerung an die im NS verschleppten und ermordeten Romnija_Roma des Ortes, welches erst von öffentlicher Hand gar nicht genehmigt – in dem Fall zweimal vom Gemeinderat abgewiesen – und nach jahrelangen Konflikten zwar beschlossen, aber weitere Jahre – bis heute – nicht aufgestellt werden14.

Laut Bundesdenkmalamt stehen in Wien 3.258 unter Denkmalschutz stehende Gebäude, Brunnen, Kirchen, Statuen, usw.15 Davon stehen im öffentlichen Raum fast 680 Gedenktafeln16 (laut MA7), wobei um die 530 Mal Männer* namentlich erwähnt werden, aber nur etwas über 40 Frauen*. Noch offensichtlicher wird es bei Denkmälern17 im Sinne von Plastiken, von denen es in Wien an die 330 gibt – etwas über 230 namentliche Erwähnungen von Männern*, aber nur knapp 10 von Frauen*. Es zeigt sich also ganz offensichtlich, an wen gedacht werden will und an wen nicht. Einzelpersonen stehen dabei als Symbolfiguren für gesellschaftliche Verhältnisse. In diesem Kontext ist auch die Darstellung Luegers zu sehen.

In Wien gibt es unter anderem Karl Lueger Denkmäler am Dr. Karl Lueger Platz (seit Juni 2016 mit Hinweistafel) am Gürtel beim Westbahnhof, beim Geriatriezentrum am Wienerwald/Krankenhaus Lainz und am Cobenzl, eine Gedenktafel am Hauptgebäude der Technischen Universität Wien, ein Reliefbild mit Inschrift am Siebenbrunnen(platz) im 5. Bezirk, den Luegerhof mit einer Porträtbüste im 15. Bezirk und zudem wird am Wiener Zentralfriedhof in der Dr. Karl Lueger-Gedächtniskirche bzw. (seit 2000) Karl-Borromäus-Kirche auf der Wandmalerei “Das jüngste Gericht” Lueger im Totenhemd dargestellt. In Neustadtl an der Donau gibt es eine Lueger-Kapelle, in Sankt Anton an der Jeßnitz und in Scheibbs ein Luegeraquädukt. Auch mittels Straßennamen und Ortsbezeichnungen wird an Personen erinnert, so wie im konkret angesprochenen Fall Lueger mittels der Dr. Karl Lueger Gasse in Mariazell, der Luegerstraßen in Klagenfurt, Feldkirch und Graz oder dem Dr. Karl Lueger Platz in Wien. Es wird somit explizit und besonders offensichtlich in ganz Österreich einer Symbolfigur des Antisemitismus gedacht.

Betrachtet man nun in weiterer Folge Norbert Hofer als den Präsidentschaftskandidaten für die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) bzw. die FPÖ im Generellen im Kontext antisemitischer und deutschnationaler Kontinuitäten in Österreich, so drängt sich die Frage auf, ob nicht eben jener als Repräsentationsfigur für diesen Staat – in der Funktion des Präsidenten – eine gewisse Konsequenz in diesen antisemitischen und deutschnationalen Traditionen darstellen würde.

Die 1955/56 gegründete FPÖ ist seit jeher ein Sammelbecken für (unter anderem) deutschnationale und rechtsextreme Ideologien, welche auch Antisemitismus als solche miteinschließen18. Allein die (verbalen) Ausfälle Haiders während seiner FPÖ-Zeit19, Vergleiche von HC Strache à la die Besucher_innen des WKR-Balles 2012 wären „die neuen Juden“ und Protestaktionen gegen Burschi-Buden seien „wie die Reichskristallnacht gewesen“20, diverse Veröffentlichungen in der FPÖ-Vorfeldorganisation Aula unter Otto Scrinzi oder in der Wochenzeitung Zur Zeit von Andreas Mölzer21, oder das antisemitische Facebook-Posting von der damaligen FPÖ-Abgeordneten Susanne Winter (das schließlich zum Ausschluss aus der Partei führte)22 sprechen für sich23.

Besuche Israels von Seiten der FPÖ werden immer wieder instrumentalisiert, um eine Distanzierung von Antisemitismus zu postulieren und die Partei und die Mitglieder damit aus der Kritik nehmen zu können. Ein Israel-Besuch von mehreren FPÖ-Mitgliedern – darunter Hofer – im Jahr 2014 sorgte kurz vor der ersten Präsidentschaftswahl 2016 für Aufregung: so behauptete Hofer, er sei in seiner Funktion als Dritter Nationalratspräsident von der Knesset offiziell empfangen worden, und habe gleichzeitig einen „versuchten Terroranschlag“ unmittelbar in seiner Nähe erlebt, wobei sich beide Aussagen als falsch herausstellten24. Auch die im Rahmen des Jahrestages der Novemberpogrome stattgefundene Gedenkveranstaltung bzw. das Symposium („Haben wir aus der Geschichte gelernt? Neuer Antisemitismus in Europa“) der FPÖ im Grand Hotel in Wien am 7. November 2016, an der Hofer ebenfalls teilnahm, verdeutlicht eben jene (ekelhafte) Taktik zur Instrumentalisierung.

Antisemitische Äußerungen bzw. Diskriminierungen sind in Österreich in seinen Traditionen tief verwurzelt. Dies wird unter anderem in einer spezifischen (problematischen) Gedenk- und Erinnerungspolitik deutlich. Zugespitzt zeigt sich dies – nicht nur, aber auch – in dem Gedankengut, das die FPÖ vertritt und propagiert. Weder „Gottes“ noch sonst irgendeine Hilfe25 kann darüber hinwegtäuschen, dass sich in Repräsentationsfiguren, wie jenen von Bürgermeister_innen oder Präsident_innen, gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln. Somit zeugen die Denkmäler Luegers von jenen Kontinuitäten, die fraglich im Raum stehen. Nicht nur die oben aufgezählten Orte, sondern noch viele weitere, könnten besser genutzt werden, beispielsweise um aufzuzeigen, dass trotz (deutsch)nationaler und antisemitischer Kontinuitäten, es Protest gegen diese gibt, nicht nur, um sich den Raum zu nehmen und ihn umzugestalten, sondern auch um mit diesen Traditionen zu brechen.

 

Ehrlich, Anna

2010 Karl Lueger. Die zwei Gesichter der Macht. Wien: Amalthea Signum Verlag.

Globisch, Claudia
2013 Radikaler Antisemitismus: Inklusions- und Exklusionssemantiken von links und rechts in Deutschland. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Heimann, Elisabeth
2015 Die (Selbst-)Inszenierung Karl Luegers und die Rezeption nach 1910. In: Christian Ehalt (Hrsg.): Enzyklopädie des Wiener Wissens, Porträts, Band IV Karl Lueger. Weitra: Bibliothek der Provinz.

Zimmermann, Clemens
1996 Zeit der Metropolen. Unter: http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/zimmermann_metropolen.pdf

1 vgl. Heimann (2015): S.12

2 vgl. http://luegerplatz.com/idee.html

3 vgl. Ehrlich (2010): S.14-32.

4 vgl. ebd.: S.95

5 Das bedeutet dementsprechend, dass Lueger die ersten vier Male nicht als Bürgermeister im Amt war, obwohl er gewählt wurde.vgl. Zimmermann (1996) S. 13 ff.

6 vgl. Heimann (2015): S.38, Ehrlich (2010): S.103

7 An dieser Stelle wurde nicht gegendert, da aufgrund der Aufzeichnungen bzw. Nachweise davon ausgegangen wird, dass Lueger qua Einstellung mit antisemitischen Männern zusammengearbeitet hat.

8 vgl. Ehrlich (2010): S.247

9 vgl. Zimmermann (1996): S.13ff

10 vgl. Ehrlich (2010): S.140

11 vgl. Ehrlich (2010): S.247

12 vgl. Globisch (2013): S.24

13 siehe u.a. http://ktnv1.orf.at/stories/481976

14 siehe u.a. http://burgenland.orf.at/news/stories/2692616/

15 siehe u.a. http://www.bda.at/downloads/1928/

16 siehe u.a. http://austria-forum.org/attach/Wissenssammlungen/Denkmale/Gedenktafeln.pdf

17 siehe u.a. http://austria-forum.org/attach/Wissenssammlungen/Denkmale/Denkmale.pdf

18 Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (Wien), 2014: Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen – Band 1. Mandelbaum Verlag. (Als tiefergehende Lektüre sei an dieser Stelle vor allem der Beitrag von Heribert Schiedel „‘National und liberal verträgt sich nicht‘. Zum rechtsextremen Charakter der FPÖ.“ empfohlen.)

19 u.a. Aussagen wie Ich verstehe nicht, wie jemand, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann.“ in Bezug auf den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Ariel Muzicant, oder die Gleichsetzung der Shoah mit der Vertreibung der Sudetendeutschen 1945/46

20 http://derstandard.at/1326504047903/STANDARD-Bericht-Strache-auf-WKR-Ball-Wir-sind-die-neuen-Juden

21 wie z.B. „Man sollte einem durchaus wiedergutmachungswilligen Land und seinen Bürgern … nicht das Gefühl geben, dass sie gewissermaßen ad infinitum als Melkkuh für Ansprüche herhalten müssen, für die es keine rechtliche und moralische Grundlage mehr gibt.“ in Bezug auf finanzielle „Entschädigungen“ für die Überlebenden der Shoah

22 http://derstandard.at/2000024949488/Winter-muss-Partei-verlassen

23 die Liste antisemitischer Äußerungen und Veröffentlichungen von FPÖ-Mitgliedern bzw. -nahen Personen lässt sich im Übrigen lange fortführen und kann (bis zum Jahr 2000) detailierter unter anderem hier nachgelesen werden: http://www.doew.at/cms/download/dhm5v/schiedel_fpoe.pdf (Heribert Schiedel, 2001: „Die FPÖ und der Antisemitismus – Ein lange verdrängter Aspekt“). Eine aktuellere Auseinandersetzung lässt sich beispielsweise hier nachlesen: https://forschungsgruppefipu.wordpress.com/tag/antisemitismus/ )

24 siehe u.a.:
* http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4992586/Hofers-Israelbesuch_FPO-kritisiert-Manipulation-des-ORF
* http://derstandard.at/2000034650291/Strache-und-hochrangige-FPOe-Politiker-in-Israel
* http://jungle-world.com/artikel/2016/16/53874.html

25 Dies bezieht sich auf eine Formulierung auf den neuen Wahlplakaten von Hofer für die Wahlwiederholung am 4. Dezember 2016: „In eurem Sinne entscheiden. So wahr mir Gott helfe.”
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In Österreich und Europa erleben wir ein diffuses Zusammenspiel von ökonomischen, (sicherheits-)politischen und sozialen Umwälzungen. Es fühlt sich an, als würden sich Ereignisse verdichten, als wäre auf einmal mehr los als die letzten Jahre. Der Terror von Rechts, ob von islamistischen oder klassischen Faschist*innen, erreicht zu oft sein Ziel, Angst zu verbreiten und rechtsextreme Positionen groß zu machen.
Nicht nur die Verschärfung der Sicherheitspolitik, der Abbau bis hin zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl, sondern auch die generelle autoritäre Zuspitzung staatlichen Handelns wird zumeist, wo nicht beklatscht, doch zumindest als neue Normalität hingenommen. In Zeiten immer größerer Unsicherheit, sozialer Abstiegsängste und immer stärker wachsenden Drucks sich den Zwängen und Anforderungen des Marktes anzupassen, kommt es zu einer Hochblüte autoritärer Politik durch den kapitalistischen Wettbewerbsstaat auf der einen und der Akzeptanz reaktionärer Ideologien auf der anderen Seite. Das alles ist kein Zufall. Werfen wir einen Blick auf die Veränderungen, die Zusammenhänge von österreichischer und europäischer Politik, den Rechtsruck, der sich durch die gesamte Bevölkerung zieht und den Kapitalismus als das Problem, über das niemand reden will.

Abschiebung, Abschottung, Überwachung
Mit welchen Veränderungen haben es wir also zu tun? Worin zeigt sich der Rechtsruck und Aufschwung rassistischer und reaktionärer Ideologien? Der Versuch einer Lagebeschreibung der aktuellen Krisensituationen in Österreich und Europa: Am offensichtlichsten zeigt sich eine autoritäre Zuspitzung des Staates in seiner Reaktion auf angebliche Bedrohungen von „Außen“. Mit dem Argument, die Souveränität und die Grenzen des Staates zu schützen, wird eine immer stärker militarisierte Abschottungs- und Abschiebepolitik gerechtfertigt. Die Abschiebung von Geflüchteten mit Militärflugzeugen und der Einsatz von Bundesheer-Spezialeinheiten inklusive Panzern an der Grenze sollen die Durchsetzungsfähigkeit des österreichischen Staates beweisen. Diese Zuspitzung geht mit einer gleichzeitigen Normalisierung ehemals deutlich von rechts besetzter Forderungen einher, wie beispielsweise die Propagierung einer „Festung Europa“ – einst eine Position der extremen Rechten, wird sie heute von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen.

In Zeiten offensichtlicher Krise müssen Geflüchtete – und Andere, welche nicht als Teil der nationalen Gemeinschaft wahrgenommen werden – als Verursacher*innen der gesellschaftlichen Probleme herhalten. Und wenn die „Fremden” an allem Schuld sind, wird der Staat als Beschützer der nationalen Gemeinschaft angerufen. Der Staat kann die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nicht verhindern. Er muss von seiner offensichtlichen Machtlosigkeit gegenüber globalen ökonomischen Entwicklungen ablenken. Der Staat ist nicht in der Lage die Bevölkerung vor den Abgründen des Kapitalismus zu schützen. Um sich jedoch trotzdem der eigenen Stärke und Souveränität zu versichern, reagiert Österreich mit militärischer Symbolik und autoritärer Politik. Neben diesen, auf Abschreckung zielenden Politiken der Abwehr vermeintlicher Bedrohungen „von Außen“, fällt das Herstellen „innerer Sicherheit“ ebenfalls in den staatlichen Aufgabenbereich. So zeigen sich Entwicklungen hin zu einem autoritären Staat auch in Gesetzesbeschlüssen, wie dem neuen Staatsschutzgesetz. Massive Überwachung und die Erweiterung polizeilicher und verfassungsschutzlicher Befugnisse stehen im Zentrum. Unter dem Deckmantel der Prävention werden die repressiven Organe ausgebaut. Polizeiliche Ermittlungen sind noch vor einem konkreten Tatverdacht möglich, filmen und beobachten polizeilicher Kontrollen wird zugleich unter Strafe gestellt. Ohne nennenswerte Kritik wird diese als normal hingenommene autoritäre Zuspitzung vollzogen.

Die Kulturalisierung sozialer Konflikte
Während ein öffentlicher Diskurs über Sicherheit, in welchem die nationale Idylle als permanent bedroht dargestellt wird, überpräsent ist, steht es um das Thematisieren sozialer Sicherheit schlecht. Sicherheit wird nur jenen Personen garantiert, die ökonomisch verwertbar sind. Personen, die der gesellschaftlichen Norm nicht entsprechen können, wollen oder dürfen, bleibt hingegen ein Anspruch auf Sicherheit weitgehend verwehrt. Zusätzlich werden ihnen aufgrund ihrer prekären Situation negative Eigenschaften zugeschrieben (aggressiv, nutzlos, kriminell etc.), was dazu führt, dass sie als „Sicherheitsrisiko“ gelten. Strukturelle Probleme werden in rassistischer Manier als „kulturelle Unterschiede“ präsentiert. Dass vorrangig Personen ohne österreichische Staatsbürger*innenschaft in illegalisierten Gewerben arbeiten (müssen) liegt jedoch nicht an ihrem Berufswunsch, sondern ist das Resultat einer Situation, die wenige Alternativen offen lässt. Die Folgen kapitalistischer Verwertungslogik, z.B. Armut, werden als Ursache gesellschaftlicher Probleme verkannt. Daraus resultiert die Bekämpfung unerwünschter Personengruppen anstatt der Bekämpfung der Ursache. Wie sich eine solche Politik äußern kann, zeigte sich etwa an der Operation Spring (1999/2000) und dem Mord an Marcus Omofuma (1999), die schnell in Vergessenheit geraten sind. Aktuell macht die „Bekämpfung des Drogenproblems rund um die U6“ die Kontinuität rassistischen Vorgehens der Exekutive deutlich – und wird oftmals, wenn nicht aktiv gefordert, als normaler Teil des Alltags akzeptiert. Offen rassistisch wird alles Schlechte als die Schuld „der Muslime“, „der Ausländer“ oder „der Flüchtlinge“ erklärt. Besonders ekelhaft werden solche Beschuldigungen, wenn österreichische Sexisten glauben, „ihre Frauen“ vor „fremden“ Männern schützen zu müssen: Frauen* sollten am Besten nur mehr in Begleitung aus dem Haus gehen. Der rechte Mann kann sich dabei als heldenhafter Beschützer inszenieren und gleichzeitig den eigenen Sexismus auf „die Anderen“ projizieren: Sexistische und sexualisierte Gewalt gegen Frauen* wird hierbei nicht in ihrer Alltäglichkeit in der österreichischen/europäischen Gesellschaft begriffen, sondern wird kulturalisiert, also als angeblich „kulturelles Problem“ von Nicht-Österreicher*innen thematisiert. Die grundsätzlich patriarchale Struktur der Gesellschaft wird ohnehin geleugnet.

Der Wunsch nach Autorität
Unsere Zeit ist also geprägt von Phänomenen, die man als Ausdruck von Entsicherung bezeichnen kann. Ständig wird über Krisen geredet: Auf die „Wirtschaftskrise“ folgt die „Flüchtlingskrise“, seit Jahrzehnten wird nur noch übers Sparen gesprochen. Österreich sei pleite, es gäbe kein Geld für Bildung, Pensionen und fürs Gesundheitssystem. In der Gesellschaft ist man sich scheinbar einig, dass es keinen weiteren Aufstieg mehr gäbe, dass das Limit am Finanzierbaren erreicht sei und es ab jetzt bergab geht. Der scheinbare Verlust von Ordnung und Sicherheit macht Angst. Die Antwort ist der Wunsch nach einem “starken Mann” der Stabilität bringt. “Lieber weniger Freiheit als Chaos.” Die Autoritären sind in der Offensive. Ob FPÖ, „Identitäre“, türkische oder polnische Nationalist*innen, islamistische und jihadistische Gruppen: Sie alle versprechen eine andere politische Ordnung, und zwar ein kompromissloses Regieren für das jeweils eigene „Volk”. Dieses wird entlang der Linien von Nation, Ethnie und/oder Religion bestimmt. Das autoritäre Versprechen lautet: „Ich bin einer von euch und fühle euren Schmerz. Ich beschütze euch vor den Bedrohungen von Außen und bekämpfe die Eliten, die euch in diese Lage gebracht haben. Bei mir kommt ihr wieder zuerst dran.”
Menschenfeindlichkeit, erkennbar in der Betonung von Ungleichwertigkeit und der Verletzung der Würde von Menschen, wird allerdings auch verstärkt in öffentlichen Aussagen und Handlungen aus der gesellschaftlichen Mitte sichtbar. Diese werden dann als Berechtigung für unterschiedliche Formen von Diskriminierungen und Gewaltakten verwendet. Eine ständige Fokussierung der Kritik auf den rechten Rand, sei dieser österreichischer, deutscher, türkischer oder islamistischer Ausprägung, führt leicht zur Entlastung einer vermeintlichen gesellschaftlichen Mitte und der bürgerlich-liberalen Linken. Denn der Rechtsextremismus ist ohne eine diskriminierende, autoritäre Mehrheitsgesellschaft undenkbar. Der Glaube an den starken Mann, der Standortnationalismus und antifeministische Praktiken bleiben wichtige Merkmale vor allem der Konservativen.

Die Revolte gegen die Moderne
Parallel zum Wunsch nach mehr staatlicher Autorität und zum gesamtgesellschaftlichen antifeministischen und rassistischen Backlash werden auf subjektiver Ebene weitere vermeintliche Lösungen in krisenhaften Situationen herangezogen. Diese basieren auf einer Externalisierung, Kulturalisierung und Personalisierung sozialer Konflikte. Besonders deutlich äußert sich das im Auftreten zweier regressiver Bewegungen, die kontinuierlich an Einfluss zu gewinnen scheinen und auf verschiedene Weisen das gesellschaftliche Klima prägen: Die völkisch-rassistische Revolte, deren zentraler Akteur die FPÖ ist, auf der einen Seite und islamistische Strömungen auf der anderen Seite. Erstere betreibt unter dem Vorwand eines angeblichen „Kampfes gegen die Islamisierung“ gegenwärtig vor allem Hetze gegen Geflüchtete und Muslime. Um eine Kritik an tatsächlichen reaktionären islamistischen Tendenzen geht es dabei nicht. Diese würde zwingend die Solidarität mit vor islamistischem Terror und Bürgerkrieg geflohenen Menschen beinhalten, genauso wie die Unterstützung all jener, die beispielsweise in der Türkei, in Kurdistan oder im Iran für Freiheit und Säkularisierung kämpfen. Sie würde die vielen muslimischen Opfer der Terroranschläge benennen, anstatt jeden weiteren Anschlag für die Verbreitung ihres antimuslimisch-rassistischen Bildes zu nutzen, das als willkommener Türöffner für bekannte rechtsextreme Positionen dient und diese in der angstgetriebenen Öffentlichkeit salonfähig macht. De facto handelt es sich aber um die alte völkisch-rassistische Wahnvorstellung eines Kampfes gegen „Überfremdung“, welche sich als „Verteidigung des Abendlandes“ darstellt. Tatsächlich tritt in letzter Zeit aber auch die zweite regressive Bewegung, der islamistische Autoritarismus, verstärkt öffentlich in Erscheinung. Er umfasst eine Bandbreite unterschiedlicher Phänomene, von repressiv-konservativen Gemeinden und Verbänden, über die Pro-AKP Mobilisierungen bis hin zum jihadistischen Terrorismus. Das Verhältnis der beiden „Bewegungen“ erscheint wie ein mythischer Kampf verfeindeter Brüder. Ihre Feindstellung gegeneinander verdeckt nur mühsam die große Ähnlichkeit der beiden Revolten gegen die moderne Gesellschaft: Beide teilen eine Weltsicht, die von abgeschlossenen und unveränderbaren Kulturen ausgeht. Daher versuchen gegenwärtig auch beide Seiten, unabhängig von realen sozialen Gegensätzen wie Klassenverhältnissen, den Gegensatz „Nicht-Muslime vs. Muslime“ als die zentrale Spaltungslinie zu etablieren. Sie sind wechselseitig aufeinander angewiesen und das jeweilige Gegenüber legitimiert den eigenen Kampf gegen die Moderne: Der Islamismus braucht Muslime als ewige Opfer und Abgehängte der westlichen Gesellschaften genauso, wie die völkischen Rassist*innen das islamistische Bedrohungsszenario. Die Sehnsucht nach einer angeblich konfliktlosen, harmonisch-homogenen Gemeinschaft, in der die gegensätzlichen gesellschaftlichen Interessen aufgehoben sind, wird einmal als „Nation“, ein anderes Mal als „Umma“ (Gemeinschaft der Gläubigen) gedacht. Offener Antisemitismus oder verdeckte antisemitische Denkmuster – vor allem in verschwörungstheoretischen Erklärungen sozialer und politischer Phänomene – Männlichkeitskult und Hass auf Frauen* und Homosexuelle und Transsexuelle sowie die Verehrung des Todes als Helden- und Kriegerkult sind weitere wichtige Gemeinsamkeiten.

Wie können wir diesen autoritären Strömungen, angesichts ihres widersprüchlichen Verhältnisses zueinander, nun entgegentreten?

Vereinzelung und Konkurrenz
Die radikale Linke darf sich nicht auf die Scheingefechte eines angeblichen Kampfes der Kulturen einlassen. Es muss darum gehen, die gegenwärtigen Autoritarismen – seien sie völkisch-nationalistischer oder islamistischer Prägung – als das zu kritisieren, was sie sind: reaktionäre Versuche der Krisenbewältigung, auch auf individueller Ebene. Sie sind als Ausdruck der prekären Existenz der Individuen in kapitalistischen Gesellschaften zu begreifen, Schiefheilungen einer fragilen Existenz, die noch fragiler zu werden droht.
In nationalstaatlich-kapitalistischen Gesellschaften wie der österreichischen kann der einzelne Mensch nur überleben, wenn er in der Konkurrenz am Markt besteht. Das erfordert eine enorme Anpassungsleistung: Jede*r Einzelne muss sich selbst und jede Regung des eigenen Lebens den Regeln von Markt und Staat unterwerfen. Man muss sich selbst permanent disziplinieren, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse unterdrücken und leugnen. Man lebt in einem Zustand der ständigen Selbst-Mobilisierung, in dem man sich immer wieder mit anderen vergleichen muss, sie übertreffen will und sich dafür selbst optimieren muss. Die Unterwerfung unter die Anforderungen der Konkurrenz reicht dabei bis tief in die psychische Struktur der Individuen. Sie können diese Selbstzurichtung vor allem dadurch erbringen, indem sie sich auch subjektiv sehr stark mit der Autorität von Markt und Staat identifizieren, die ihnen als „unser Land“/„unsere Wirtschaft“ begegnet. Die Ideale von Konkurrenzkampf, Leistung und Nützlichkeit werden in das Selbstbild übernommen und zu Leitmotiven des eigenen Lebens – die Einzelnen verinnerlichen den äußeren Zwang. Allerdings erwarten die Menschen auch, von der herrschenden Ordnung dafür belohnt bzw. entschädigt zu werden. Sie wollen an der Größe ihres Standortes teilhaben, und sich durch die Stärke der Nation, welche zum Teil des eigenen Ichs geworden ist, selbst stark fühlen. Auch der Vergleich nach unten und der stolze Blick auf den Platz, den sie sich in der Konkurrenz erkämpft haben, soll den von den täglichen Demütigungen angekratzten Selbstwert stabilisieren.

In der gegenwärtigen Krise verschärft sich diese Dynamik. Die in Aussicht gestellte Belohnung für die Unterwerfung (finanzielle Sicherheit, Planungssicherheit, der zu genießende Lebensabend, dass die Kinder es einmal besser haben, usw.) wird immer fraglicher. Mit der Krise des Sozialstaats, der Finanzkrise und der Eurokrise ist die soziale Unsicherheit zunehmend in die Mitte Europas zurückgekehrt und mit ihr eine bedrohliche Ahnung von der Instabilität des globalen Kapitalismus. Die Verarbeitung dieser Veränderungen befördert eine politische Subjektivität, die geprägt ist von Gefühlen der Ohnmacht und Angst und einem diffusen Ungerechtigkeitsempfinden. Die Einzelnen fühlen sich als Spielball anonymer ökonomischer Kräfte. Dafür muss der soziale Abstieg nicht einmal am eigenen Leibe erfahren werden. Abstiegsängste und die leise Ahnung, dass der eigene Standort von der Krise bedroht ist und daher auch die eigene „Belohnung“ in Gefahr ist, reicht, um die Legitimität des gesellschaftlichen Status Quo aus Sicht der Einzelnen erheblich zu schmälern. In ihrer Wut über die eigene Unterwerfung unter eine versagende Autorität werden als Erklärung für das eigene Elend Feindbilder geschaffen, an denen Wut und Hass entladen werden. Die Aggressionen richten sich nie gegen die wahre Ursache des eigenen Leidens – nämlich die Ordnung von Staat und Kapital, weil diese faktisch zu mächtig ist und weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Dass am Ende genau jene Autoritäten, denen man das ganze Leben unterworfen hat, Schuld am eigenen Leiden sein könnten. Dass die ganze Selbstzurichtung umsonst gewesen sein könnte, dass sie weder ein schönes, noch ein freies, noch ein sicheres Leben garantiert.

Die kapitalistische Produktionsweise
Die Kritik an diesen Missständen muss an der Wurzel ansetzen. Dafür müssen tiefergehende Zusammenhänge erkannt und verstanden werden. Der Kapitalismus als komplexes System, das in all unsere Lebensbereiche einwirkt und die Regeln des täglichen Miteinanders festschreibt, muss angegriffen werden. Wie dies ganz grundsätzlich funktioniert und welche Rolle Patriarchat und Staat darin einnehmen muss also deutlich gemacht werden:
Der Kapitalismus zeichnet sich gegenüber vorkapitalistischen Produktionsweisen dadurch aus, dass er Ausbeutung und Herrschaft auf Basis vom Privateigentum an den Produktionsmitteln organisiert. Manche besitzen Produktionsmittel, andere haben nur den Verkauf ihrer Arbeitskraft als Einkommensquelle – sie sind also lohnabhängig. Diese Lohnabhängigen werden von den Kapitalist_innen – also den Besitzer_innen der Produktionsmittel – angestellt und ausgebeutet, d.h.: Lohnabhängige erarbeiten mehr, als sie im Tausch für ihre Arbeitskraft an Lohn erhalten. So entsteht der Mehrwert bzw. Profit für den_die Unternehmer_in/Kapitalist_in. Profit ist der eigentliche Zweck der Produktion. Die Befriedigung von Bedürfnissen dient lediglich als Mittel zur Realisierung dieses Zwecks. Hier darf allerdings nicht der Fehlschluss gemacht werden, Kapitalist_innen allein seien für das Übel des Kapitalismus verantwortlich, denn: Unter den Bedingungen der Konkurrenz hat das Handeln von Lohnabhängigen und Kapitalist_innen gleichermaßen Zwangscharakter. Lohnabhängige sind gezwungen ihre Arbeitskraft als Ware am Markt zu verkaufen, um ihre Existenz zu sichern und Kapitalist_innen sind gezwungen permanent ihren Gewinn zu vergrößern um am Markt bestehen zu bleiben.

Zur Rolle des Staates
Um zu gewährleisten, dass sowohl die Kapitalist_innen als auch die Lohnabhängigen sich gegenseitig als Eigentümer_innen anerkennen, braucht es eine Gewalt, die den reibungslosen Ablauf des Tausches garantiert: den Staat. Er sorgt dafür, dass die Konkurrenz und die Ausbeutung in der Gesellschaft nicht in offene Gewalt umschlägt. Dadurch, dass er die Menschen als abstrakt gleiche Rechtssubjekte anerkennt, schreibt er deren ökonomische Ungleichheiten fest, da er damit auch die herrschende Eigentumsordnung verschleiert und reproduziert. Er ist für die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft als Ganze verantwortlich und damit keineswegs unparteiisch. Denn: Er ist für seine eigene Refinanzierung auf die erfolgreiche Vermehrung der Profite der Unternehmen auf seinem Territorium angewiesen, da er sich maßgeblich durch Besteuerung dieses Kapitals (sowie der aus ihm bezahlten Löhne und der sich daraus ergebenden Kaufkraft) finanziert.
Der Staat ist ein Wettbewerbsstaat, niedrige Löhne stellen seine Erfolgsgrundlage dar. Spätestens mit der seit 2008 akuten Krise des Kapitalismus spitzt sich dieser Wettbewerbsstaat autoritär zu. Das heißt die zunehmende Durchkapitalisierung aller gesellschaftlicher Sphären wird wenn notwendig auch mit Zwang durchgesetzt, was an Griechenland erst kürzlich sehr bildlich vor Augen geführt wurde. Doch auch die augenblickliche autoritäre Zuspitzung und die Militarisierung des Grenzregimes in Österreich sind nicht von dieser Entwicklung zu trennen.
Die Nation wiederum ist der ideologische Kitt, der die gegensätzlichen ökonomischen und sozialen Positionen, die der staatlich verwaltete Kapitalismus unter die Leute bringt, verdeckt. Die Staatszugehörigkeit der Individuen wird zu einer mystischen „Volkszugehörigkeit“, die je nach Bedarf mit einer Kombination aus angeblich gemeinsamer Kultur, Geschichte, Sprache etc. begründet wird. Mit der Realität haben diese nationalistischen Konstruktionen nur bedingt etwas zu tun, jedoch eignen sie sich hervorragend dazu, die staatliche Herrschaft in den naturwüchsigen Ausdruck einer vorbestimmten Gemeinschaft umzudeuten.

Patriarchat und Kapitalismus
Die Versuche einer reaktionären Krisenbewältigung zielen auch darauf ab, festgeschriebene Geschlechterrollenbilder zu stabilisieren und jene Fortschritte, die durch jahrzehntelange feministische Kämpfe erzielt wurden, rückgängig zu machen. Die „Sonderrolle“, die im Kapitalismus Frauen* zugeschrieben wird, muss an dieser Stelle betont werden. Reproduktionstätigkeiten und Lohnarbeit im Care-Sektor sind nicht nur besonders prekär, sie werden gesellschaftlich auch als Aufgabe von Frauen* festgeschrieben.
Der Reproduktionsbereich, der eigentlich außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik steht, ist Voraussetzung für das weitere Bestehen des Systems, auch wenn Teile des Reproduktionsbereichs durch Lohnarbeit erfolgen und in den Kapitalismus eingegliedert sind. Menschen umsorgen, pflegen, aufziehen erfordert keinen Egoismus, wirtschaftliche Rationalität oder Profitdenken, sondern viel mehr Fürsorge, Selbstlosigkeit, Emotionalität und Zuneigung. Dass eben diese Eigenschaften, Gefühle und Haltungen nun als „weiblich“ festgeschrieben und von „männlichen“ Eigenschaften getrennt werden, liegt nicht zuletzt in der fortgeschriebenen Geschichte des Patriarchats begründet. Die als „weiblich“ verstandenen Eigenschaften erfüllen also den Zweck, dass dadurch Frauen* essentiell dazu bestimmt werden, die Reproduktion zu übernehmen. Auch der vermehrte Eintritt österreichischer/westeuropäischer Frauen* in den Bereich der kapitalistischen Verwertungslogik ändert nichts an geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und der Entwertung von Reproduktionstätigkeiten. Vielmehr bringt er zumeist eine Doppelbelastung mit sich, da die Reproduktion nach wie vor Frauen* zugeschrieben werden. Um der Mehrfachbelastung von Lohnarbeit und Reproduktionstätigkeiten zu entkommen, werden letztere im Sinne sekundärer Ausbeutungsmechanismen an Migrantinnen* ausgelagert, die sie häufig unter äußerst prekären Arbeitsverhältnissen ausüben.
Anerkennung bringt weder die Lohnarbeit noch die unentlohnten Haushalts-, Erziehungs- oder anderen Tätigkeiten im Reproduktionsbereich. Und mit der Nicht-Anerkennung dieser Tätigkeiten geht die Abwertung der notwendigen Eigenschaften, Gefühle und Haltungen für diese einher.
Die kulturell-gesellschaftliche Herstellung von Geschlechtsidentitäten geht also mit der geschlechtlichen Verteilung der Tätigkeiten im Kapitalismus einher. Das moderne Patriarchat und der Kapitalismus bedingen sich gegenseitig und können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Der Kampf gegen den Kapitalismus muss immer auch ein feministischer Kampf sein.

Die befreite Gesellschaft erkämpfen
Eine linke Kritik, die sich damit begnügt den „Abbau des Sozialstaats“ zu beklagen, sich auf die „gute, ehrliche Arbeit“ beruft und mehr staatliche Intervention in Zeiten der Krise fordert, hat nicht verstanden, dass sie so den Mitverursacher und Betreuer von Armut und Zwang als rettende Instanz anruft. Diese Position ist tendenziell offen für nationalistische Diskurse und das Suchen und (Er-)Finden von Sündenböcken. Der Staat ist nicht und war nie ein neutraler „Überbau“ der Wirtschaft, sondern muss als grundlegendes Element der politischen Ökonomie des Kapitalismus kritisiert werden.
Es geht darum, das Verhältnis von Staat, Nation, Patriarchat und Kapital zu verstehen und Ideologien zu reflektieren und zu widerlegen, die uns schon seit unserer Geburt begleiten, uns anerzogen werden und tiefer in uns stecken, als wir manchmal glauben wollen. Sei es die Identifizierung mit der Lohnarbeit, geschlechtsspezifische Rollen und damit einhergehende Erwartungen, das Gefühl der Wertlosigkeit, wenn man in der Schule oder in der Arbeit negativ bewertet wird oder erst gar keinen Job findet.
Eine Veränderung unseres Blickwinkels auf den kapitalistischen Verwertungszwang, auf den kapitalistischen Wettbewerbsstaat und seine Politik, kann uns neue politische Perspektiven und eine neue Sicht auf die (wahnsinnige) Normalität unseres Alltags ermöglichen.
Der Staat wird uns nicht retten, denn der Staat ist Teil des Elends. Und er setzt seine Gewalt ein, durch Gesetze, Aufrüstung und Einschüchterung, wenn seine Legitimität in krisenhaften Zeiten angezweifelt wird. Unsere Möglichkeiten liegen darin, ein Bewusstsein für die uns umgebenden Ideologien zu entwickeln, uns selbst und unabhängig von staatlicher Politik zu organisieren, gesellschaftliche Spaltungen zu benennen und zu bekämpfen. Die Werte dieser unmenschlichen Leistungsgesellschaft sind so gut antrainiert, dass es schwer fällt, sich eine andere Praxis, geschweige denn die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft, überhaupt vorzustellen.
Mit der Kampagne “Raus aus der Ohnmacht!” wollen wir als Plattform Radikale Linke dazu aufrufen, nicht trotz, sondern gerade aufgrund der Defensivposition, in der Antikapitalist*innen sich befinden, in die Offensive zu gehen. So notwendig die Abwehrkämpfe gegen weitere Verschlechterungen sind, so notwendig ist es, die Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren: Wenn wir aus dem Hamsterrad der Ohnmacht, der Abwehrkämpfe, der Vereinzelung und Marginalisierung ausbrechen wollen, brauchen wir eine breite, starke und handlungsfähige Radikale Linke!
Die Kampagne soll dazu mobilisieren, Aktionen und Veranstaltungen gegen den Kapitalismus, den Staat und seine autoritäre Formierung zu organisieren. Gleichzeitig stellt dieser Aufruftext den Versuch einer Erklärung der aktuellen Entwicklungen dar. Nur wenn wir uns organisieren und unserer Kritik in Aktionen und Texten transparent und nachvollziehbar Ausdruck verleihen, sie für Menschen zugänglich machen und so als radikale Linke mehr werden, ist Veränderung denkbar!

Die Plattform Radikale Linke ist ein Zusammenschluss vieler linksradikaler Gruppen und Zusammenhänge aus ganz Österreich.

Als am Donnerstag, den 27. August 2015, dutzende Menschen tot in einem LKW auf der Ostautobahn im österreichischen Burgenland entdeckt wurden, war das Entsetzen groß. Mehr als 70 Flüchtende erstickten bei dem Versuch von Ungarn über die Grenze nach Österreich zu gelangen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zeigte sich schockiert über die Resultate ihres eigenen politischen Handelns und sprach von einem „dunklen Tag“ der „uns alle betroffen macht“, um im selben Atemzug eine „Aktion scharf gegen Schlepper“ anzukündigen. Das europäische Grenzregime, das Menschen auf der Flucht in lebensbedrohliche Situationen zwingt, hatte nun auch in Österreich einer großen Zuschauer_innenzahl seine mörderischen Konsequenzen offenbart. Währenddessen saßen tausende Refugees am Hauptbahnhof in Budapest fest, da die ungarische Polizei ihnen die Weiterreise verwehrte. Ohne ausreichende Versorgung und teilweise Angriffen von Nazis und/oder Polizei ausgesetzt beschlossen sie, sich zu Fuß auf einen Marsch Richtung österreichische Grenze aufzumachen und forderten dadurch das Migrationsregime erneut heraus. Mit Erfolg! Der selbstorganisierte Protest und die anhaltenden Kämpfe von Flüchtenden brachten in weiterer Folge das Dublin-System ins Wanken. Seitdem begann sich das einzupendeln, was uns bis heute bekannt ist: Die Regierungen fast aller europäischen Staaten diskutieren über Grenzschließungen, den Ausbau der Festung Europa und die „Sicherung der Außengrenzen“, über Asylrechtsverschärfungen und Kapazitätsgrenzen.

In der österreichischen Zivilgesellschaft entwickelte sich spätestens nach jenem 27. August ein Problembewusstsein. Während einer antirassistischen Demonstration am 31. Oktober in Wien kamen die ersten Refugees mit einem ganzen Zug von Ungarn am Westbahnhof an. Als an diesem Tag über 25.000 Menschen in Wien auf die Straße gingen, baute gleichzeitig ein weiterer Teil der Zivilgesellschaft spontane und lang anhaltende Solidaritätsstrukturen auf, um die fehlende staatliche Unterstützung mit dem Notwendigsten auszugleichen. Konvois mit bis zu hundert Autos brachen in den Folgetagen aus Wien und anderen Städten auf, um Fluchthilfe zu leisten und damit die Festung Europa politisch anzugreifen. Am 3. Oktober fand in Wien erneut eine antirassistische Großdemonstration statt, der sich über 50.000 Menschen anschlossen. Als Gruppe organisierten wir einen antinationalen Block, an dem sich Hunderte beteiligten, um auf der Demo zum Ausdruck zu bringen, dass humanitäre Hilfe zu leisten zu wenig ist und Antirassismus und die Kritik an der Festung Europa auch immer eine Kritik an nationalstaatlicher Ausgrenzung sein muss. So hieß es in unserem Aufruf: „wie es keine Atomkraftwerke ohne Atommüll geben kann, keinen Kapitalismus ohne Krise, kann es auch keinen Nationalstaat geben, ohne die beständige gewaltsame Ausgrenzung von Nicht-Staatsangehörigen.“ [1] Nach der Demo fand ein Konzert mit 100.000 Menschen unter dem Motto „Voices for Refugees“ auf dem Wiener Heldenplatz statt. Aufgrund der großen Teilnehmer_innenzahl und am Charakter der Veranstaltung kurz vor der Wien-Wahl konnte man sich als aufmerksame_r Beobachter_in der österreichischen Verhältnisse schon ausmalen wohin das Ganze führt: Einem großen Teil der Konzertbesucher_innen ging es wohl nicht vordergründig um Geflüchtete. Im besten Fall ging es jenen darum, ihr Gewissen zu beruhigen oder einfach die Toten Hosen zu sehen, im schlechtesten Fall ging es um nationale Identifikation, um die Inszenierung als das „bessere Österreich“. So verwundert es kaum, dass die Veranstalter_innen den Bundespräsidenten zur Ansprache baten. Es handelte sich um eine zutiefst unpolitische Veranstaltung, deren politische Momente sich eher an nationalen Identitäsbegehren, anstatt an einer Kritik an diesen entfaltete.

Am Wochenende darauf zeigte sich, dass diese unkritische Symbolpolitik nichts an den realen Kräfteverhältnissen ändern kann. Die rechtsextreme FPÖ gewann in Wien ordentlich dazu, nahezu jede_r dritte Wähler_in hat in Wien einer völkisch-nationalistischen Partei mit Verbindungen zum Neonazismus ihre Stimme gegeben. In Stadtteilen wie Simmering, traditionelle Arbeiter_innenviertel, wurde die FPÖ erstmals stärkste Kraft. Auch in Oberösterreich bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen hatte die FPÖ starke Zuwächse zu verzeichnen und stellt seitdem gemeinsam mit der konservativen ÖVP eine rein männliche (2015!) Landesregierung.

Der Sommer des Helfens wurde nun auch offiziell vom nationalen Schweineherbst abgelöst. Die gesellschaftspolitische Debatte um Flucht und Migration wurde zunehmend von rechts dominiert und der in der österreichischen Gesellschaft schlummernde Rassismus brach sich zunehmend Bahn. Während die FPÖ bislang die autoritären Gebärden der von Abstiegsängsten und rassistischen Untergangsszenarien gebeutelten Österreicher_innen für ihren parlamentarischen Erfolg kanalisieren konnte, artikulierte sich dieser Rassismus nun auch zunehmend auf der Straße. In Spielfeld, jenem oststeirischen Ort an der österreichisch-slowenischen Grenze, der den Rechten zum Symbolbild des „Asylchaos“ geworden zu sein scheint, fanden nahezu im Wochentakt rassistische Aufmärsche gegen Geflüchtete mit bis zu 600 Teilnehmenden statt. Am 15. November mobilisierte erstmals die „Identitäre Bewegung“ nach Spielfeld, um im Zusammenspiel mit Neonazis und „besorgten Bürgern“ ihre Menschenverachtung auf die Straße zu tragen und Flüchtenden ihr „NO WAY“-Banner entgegen zu halten. Wir beteiligten uns maßgeblich am Bündnis „Kein Spielfeld für Nazis“, welches Gegenproteste organisierte. [2] Aus Wien reisten vier Busse zur Demo an, mittels Fingertaktik und zivilem Ungehorsam wurden Polizeiketten durchflossen und an zwei Punkten die Aufmarschroute blockiert. Trotz dieser Blockaden, welche teilweise von Neonazis gewaltsam durchbrochen wurden, konnte der Aufmarsch zwar stattfinden, wurde aber empfindlich gestört und verzögert. Im Anschluss gingen noch 80 Autos der angereisten Rechtsextremen kaputt.

Vereinzelt fanden auch „Proteste“ gegen die Unterbringung von Geflüchteten statt. Es ist zu befürchten, dass diese Art von rassistischer Mobilmachung noch zunehmen könnte. Die österreichische Regierung hat ein Durchgriffsrecht beschlossen, um Unterkünfte in Gemeinden eröffnen zu können, auch wenn diese dem nicht zustimmen. Trotz der vereinzelten Versuche, auf der Straße eine außerparlamentarische rassistische Bewegung zu etablieren, bleibt der erfolgreichste Arm der völkisch-nationalistischen Rechten ohne Zweifel die FPÖ. Um deren gesellschaftlichen Erfolg zu erklären, macht es Sinn einen Blick auf die Entwicklungsgeschichte und den ideologischen Charakter dieser Partei zu werfen.

Die FPÖ zwischen Rechtsextremismus und Neonazismus [3]
Die Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) ging 1955 aus dem Verband der Unabhängigen (VdU) hervor, welcher sich als Vertreter der ehemaligen NSDAP-Mitglieder sah und seine Reihen mit diesen füllte. Es war ein Sammelbecken von Altnazis, Deutschnationalen und wenigen Nationalliberalen. Letztere wurden mit der Auflösung des VdU und der Umgestaltung zur FPÖ aus der Partei gedrängt, um diese auf einen strikt deutsch-völkischen Kurs zu bringen. Die weitere Geschichte der FPÖ kann als stetiger Kampf zwischen dem deutsch-völkischen und dem nationalliberalen Flügel innerhalb der Partei beschrieben werden. Dieser ständigen Konflikts erschwert die Darstellung der ideologischen Ausrichtung der FPÖ; Diese wirkt oft widersprüchlich und kann auch wegen der Länge des Textes nicht vollständig aufgeschlüsselt werden.

Als erster Bundesparteiobmann wurde Anton Reinthaller gewählt. Dieser war seit 1930 Mitglied der NSDAP, Angehöriger der Regierung um Seyß-Inquart und später SS-Brigardeführer. In seiner Antrittsrede betonte er in deutschnationaler Manier, „der nationale Gedanke bedeutet in seinem Wesen nichts anders als das Bekenntnis der Zugehörigkeit zum deutschen Volk.“ Reinthaller wurde nach seinem Tod 1958 von Friedrich Peter in seiner Position als Bundesparteiobmann beerbt. Auch dieser war ehemaliges Mitglied der SS und der Einsatzgruppe C zugeteilt, welche maßgeblich an Massenerschießungen beteiligt war. Die Liste von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern bzw. Wehrmachts-, SS-Angehörigen und anderen NS-Täter_innen, welche sich der FPÖ anschlossen könnte schier endlos weitergeführt werden. Doch schon diese beiden können gut als Beispiel dafür angeführt werden, dass in Österreich nach 1945 keine Aufarbeitung, geschweige denn ein vollständiger Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit erfolgte. Damit verbunden ist auch eine wenig bis gar nicht erfolgte Aufarbeitung mit der Epoche vor dem Nationalsozialismus in Österreich – des sogenannten Austrofaschismus. Im Vordergrund steht dabei häufig die Betonung des eigen- und widerständigen Österreichs im Gegensatz zum nationalsozialistischen Deutschland. Dass unter dieser als Ständestaat verharmlosten Epoche nicht nur ein unterwürfiges Sozialpartnerschaftsdenken geschaffen wurde, welches Kapital, Arbeit und Staat – bis heute – unter dem nationalen Dach zu vereinen weiß, sondern auch der Weg für den Nationalsozialismus bereitet wurde, wird häufig vergessen.

Mit dem „Anschluss“ an das deutsche Reich wurden schließlich die Wünsche der „Volksdeutschen“ befriedigt. Sie durften endlich „heim ins Reich“ und so sahen auch prominente Sozialdemokrat_innen wie Karl Renner dem „Anschluss“ „mit freudigem Herzen“ entgegen. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und dem Verbot, sich wieder an das „deutsche Vaterland“ anzuschließen, stand die Politik wieder vor dem leidigen Thema Nationalbewusstsein, da die Gründung der Republik – wie schon 1918 – gegen den Willen der „Volksgenossen“ stattfand. Es wurde versucht, einen Österreich-Patriotismus durch Abgrenzung zum Nationalsozialismus und Überbetonung des österreichischen Widerstands aufzubauen. Dies spielte bei der Etablierung des Opfermythos eine wichtige Rolle, welcher Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus darstellt. Das bot der nationalen Identität wieder einen positiven Bezugsrahmen und machte es möglich, sich mit der österreichischen Nation zu identifizieren, ohne sich den Verbrechen des Nationalsozialismus stellen zu müssen.

War die FPÖ in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens eine Kleinpartei und bewegte sich zwischen 5 und 10 Prozent der Wähler_innenstimmen, erlebte sie mit dem Aufstieg Jörg Haiders und einem damit verbundenen Kurswechsel einen stetigen Aufschwung. Haider erlangte in einer Kampfabstimmung 1986 gegen den national-liberalen Norbert Steger das Amt des Bundesparteiobmanns und brachte die Partei wieder auf einen völkisch-nationalistischen Kurs. Haider baute die FPÖ zu einer autoritären Führerpartei um und verlieh ihr eine ideologische und personelle Erweiterung. Der bis in die Mitte der 1990er verfolgte Deutschnationalismus erwies sich als nicht mehr breitentauglich und wurde von einem „aggressiven Österreichpatriotismus“ [4] abgelöst. Die FPÖ wurde zum Sammelbecken verschiedener ideologischer Strömungen, welche von neoliberal bis national-sozial reichten. Auch in der Familienpolitik wurden Änderungen vorgenommen. Die „österreichische Familie“ stellte schon immer einen zentralen Punkt in der Politik der FPÖ dar. Wurde aber im Parteibuch unter Norbert Steger noch darauf hingewiesen, dass man gegen die Diskriminierung „anderer, frei gewählter Formen des Zusammenlebens“ sei, so lehnte die FPÖ seit Jörg Haider gleichgeschlechtliche Partner_innenschaften dezidiert ab. Diese Fraktionierung innerhalb der Partei führte zu einer ersten Spaltung. Der liberalere Flügel (fünf Abgeordnete) der FPÖ trat 1993 nach dem Erstarken des völkischen Flügels aus der Partei aus und bildeten das Liberale Forum (LIF).

Jörg Haider sorgte mit seinen Aussagen zum Nationalsozialismus immer wieder für Aufsehen. Unter anderem verwies er in einer Rede im Kärntner Landtag darauf, dass das Dritte Reich eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ gehabt hätte. In einem Interview mit der Presse bezeichnete er die FPÖ als „Schädlingsbekämpfungsmittel für die Demokratie“, welche in Österreich von „Schwarzen und Rothäuten, die nicht – wie üblich – im Reservat leben“ [5] regiert würde. Mit solchen Aussagen und dem zuvor erwähnten Kurswechsel gelang es bei der Nationalratswahl 1999 zur zweitstärksten Partei aufzusteigen und an der Regierungsbildung beteiligt zu werden. Der Koalition von ÖVP und FPÖ trat ein breiter Widerstand entgegen. Einerseits auf nationaler Ebene in Form von wöchentlich abgehaltenen Donnerstagsdemonstrationen und andererseits auf internationaler in Form von EU-Sanktionen. Dies verhinderte schließlich eine aktive Regierungsbeteiligung von Jörg Haider und die FPÖ musste die Regierungsreihen mit unbekannteren Gesichtern des moderateren Flügels füllen. Der Konflikt zwischen den Haideranhänger_innen und den FPÖ-Regierungsmitgliedern führte 2002 zur Einberufung eines außerordentlichen Parteitags. In Knittelfeld erfuhr die FPÖ einen weiteren Rechtsruck, was zu Rücktritten und schließlich zu Neuwahlen führte. Bei diesen verlor die FPÖ beinahe zwei Drittel ihrer Wähler_innenstimmen, wurde aber trotzdem an der neuen Regierung beteiligt.

2005 kam es zum endgültigen Bruch. Die immer autoritär-neoliberalere Politik von Jörg Haider und seiner „Buberlpartie“* verlor an Rückhalt der völkisch-nationalistischen Parteibasis. Dies führte schließlich zum Austritt Haiders aus der FPÖ, der mit einem kleinen Teil seiner Anhänger_innenschaft das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) gründete, welches aber – außer in Haiders Kärntner Wahlheimat – erfolglos blieb. Nach dem „tragischen“ Tod der Führerfigur 2008 kann das BZÖ endgültig als unwichtig eingeschätzt werden. Heinz-Christian Strache wurde 2005 zum neuen Parteiobmann der FPÖ gewählt und setzte auf eine strikte Oppositionsstrategie. Damit erreichte die Partei bei den folgenden Wahlen große Erfolge.

Heribert Schiedel, Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW), meint, dass es seit 2005 zu einer Re-Ideologisierung der FPÖ kam. Die heutige FPÖ ist ein Sammelbecken von rechtsextremen Ideologien mit guten Verbindungen zum Neonazismus. Dabei nehmen die seit 2005 innerhalb der Partei wiedererstarkten Burschenschaften eine wichtige Schanierfunktion ein, womit ein offeneres Bekenntnis der FPÖ zum völkischen Deutschnationalismus verbunden ist. So wird beispielsweise bei Angelobungen von allen Abgeordneten der FPÖ die blaue Kornblume (Zeichen des Deutschvölkischen und Symbol für verbotene Nazis in der Zwischenkriegszeit) getragen und sich zur „deutschen Kulturgemeinschaft“ [6] bekannt.

Die Verbindungen zum Neonazismus können gut an der Diskussion um das Verbotsgesetz, welches jede Wiederbetätigung im Sinne des Nationalsozialismus verbietet, aufgezeigt werden. 2006 forderte die FPÖ eine (teilweise) Abschaffung dieses Verfassungsgesetzes unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit. Damit werden die NS-Propaganda und Leugnung von NS-Verbrechen als legitime Meinungen verharmlost. In öffentlichen Debatten distanziert sich die FPÖ zwar vom Nationalsozialismus, doch immer verbunden mit dessen Relativierung und/oder Selbst-Viktimisierung. So werden häufig die NS-Verbrechen mit den angeblichen „Kriegsverbrechen“ von Partisan_innen oder dem „Bombenterror“ [7] der Alliierten aufgerechnet. Auch beim Thema Wehrmachtsdeserteure wird eindeutig Stellung bezogen. Für Strache sind diese „Täter“, die „Unschuldige am Gewissen“ [8] hätten.

Ein weiteres Merkmal der FPÖ ist ihr (struktureller) Antisemitismus. Dieser äußert sich vor allem in ihren Krisenanalysen und in einer ressentimentgeladenen Kritik an den Oberflächenerscheinungen des Kapitalismus, kann sich aber nach Auschwitz nur mehr in codierter Form äußern. Dabei werden keine sozioökonomischen Verhältnisse kritisiert, sondern die Schuld wird einer unmoralischen kleinen Personengruppe zugewiesen. „Internationale Spekulanten“ [9] , „raffgierige Bankmanager“ [10] und „Heuschreckenunternehmen“ [11] hätten die Krise verschuldet und werden zum Feindbild erklärt. So verwundert es auch nicht, dass auch im Nahostkonflikt eine klare Stellung bezogen wird. Der „Zionistenstaat“ Israel führe einen „Vernichtungsfeldzug gegen die Palästinenser“, welche im „Freiluftkonzentrationslager Gazastreifen“ [12] untergebracht werden würden. Auch mit einem „FPÖ-Veto gegen [einen] EU-Beitritt von Türkei und Israel“ – wobei letzterer (bekanntlich) nie Thema war – wurde Werbung gemacht. Die neuerdings ins Feld geführte Israelfreundlichkeit der FPÖ dient demgegenüber rassistischer Instrumentalisierung. Antisemitismus wird dann kritisiert, wenn es der rassistischen Agitation gegen Muslime dient, welche ihn von außen in die österreichische Gesellschaft „importieren“ würden. Diese Strategie ist dem Umstand geschuldet, dass offener Antisemitismus im Vergleich zu antimuslimischen Rassismus tabuisiert ist und soll den Antisemitismus als vermeintlich „fremdes“ Phänomen externalisieren. Eine klare Anti-Globalisierungspolitik stellt einen weiteren ideologischen Bezugspunkt der FPÖ dar. So wurde unter anderem mit dem Slogan „sozial geht nur national“ geworben und das „Europa der Vaterländer“ als „Bollwerk gegen die Globalisierung“ [13] bezeichnet.

Der Bezugspunkt eines neuen Rassismus hat sich von „Rasse“ hin zur „Kultur“ verschoben. Dem homogenisierten Eigenen ist dabei immer der Vorzug zu geben. Die FPÖ sieht sich dabei zur Bewahrung der „eigenen“ Kultur gegen das „rückständige“ Andere verpflichtet. So wird – zum Teil auch jeder kapitalistischen Verwertungslogik widersprechend – gegen Migrant_innen mobilisiert. Vor allem muslimische Migrant_innen sehen sich mit massiver Negativpropaganda konfrontiert. Der Islam sei – laut Johann Gudenus – nicht integrierbar und „solche Leute haben sich eine Einbürgerung nicht verdient“ [14]. Dabei wird häufig auch auf NS-Vokabular zurückgegriffen. Zum Beispiel sprach selbiger von einer stattfindenden „Umvolkung“, welche zu verhindern sei. Auch das Wort „N****“ ist kein Tabu innerhalb der FPÖ, Susanne Winter (mittlerweile wegen offenem Antisemitismus aus der Partei ausgeschlossen) etwa sieht dies nicht als ein Schimpfwort, sondern „als Bezeichnung einer Menschenrasse“ [15].

Die FPÖ ist als Männerpartei auch als antifeministisch und homophob einzustufen. Um das „Eigene“ zu schützen, muss dieses auch gefördert werden. Somit stellt die „österreichische Kleinfamilie“ – da nur diese Kinderreichtum gewährleisten könne – den positiven Bezugsrahmen der freiheitlichen Familienpolitik dar. Dass dabei die Geschlechterrollen klar verteilt sind, versteht sich von selbst. Die FPÖ ist nicht nur Abbild einer patriarchalen Gesellschaft, sondern zielt auf noch striktere Geschlechterrollen ab. Heinz-Christian Strache und Andreas Mölzer sprechen in Interviews gerne von einer „Herrschaft des Feminismus“ und einer „Lobby der Schwulen und Lesben“ [16]. Weiters wird Homosexualität als Krankheit oder als „Kultur des Todes“ [17] bezeichnet.

Anhand der Rechtsextremismustheorie von Willibald Holzer [18] und aufgrund dieser Merkmale ist die FPÖ eindeutig als rechtsextrem zu bezeichnen. Nach dieser Theorie ist der Begriff Rechtsextremismus nicht unbedingt mit dessen Ablehnung der parlamentarischen Demokratie verbunden. Rechtsextremismus wird hierbei vor allem durch die Behauptung einer „natürlichen“ Ungleichheit, verbunden mit der Trias Gemeinschaftsdünkel, Autoritarismus und Rassismus/Antisemitismus bestimmt. Die Verwendung des Begriffes rechtspopulistisch wäre eine klare Verharmlosung dieser menschenverachtenden Politik. Bestimmt man aber den Rechtspopulismusbegriff als politischen Stil und den Rechtextremismus als inhaltlich-ideologisch, so kann eine Partei rechtspopulistisch und rechtsextrem zugleich agieren. Gerade in letzter Zeit versucht sich die FPÖ staatsmännischer zu geben und die Parteispitze versucht in öffentlichen Aussagen und Debatten moderater aufzutreten. Diese Strategie sollte aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass der ideologische Kern der FPÖ weiterhin ein völkisch-rechtsextremer ist. Auch bedeutet das Arrangement der FPÖ mit der Demokratie als Form keinesfalls, dass die FPÖ eine demokratische Partei ist. Vielmehr artikuliert sich der modernisierte Rechtsextremismus nicht mehr gegen die sondern in der Demokratie. Er will die Demokratie nicht abschaffen, aber im Sinne von Ethnokratie umdeuten. Diese Umdeutungsbestrebungen stehen im Widerspruch zu den aufklärerischen Ideen der Gleichheit des Individuums, da in dieser „identitären“ Demokratie die Gemeinschaft, das Volk, als alleiniger Träger von Rechten über den Einzelnen gestellt wird. [19] Die Charakterisierung der FPÖ als rechtsextrem bedeutet jedoch nicht, dass ihre Wähler_innen, ja nicht einmal ihre Funktionär_innen und Mitglieder, allesamt Rechtsextreme wären. Dennoch muss der idelologische Charakter der Partei ernst genommen und die inneren Widersprüche, welche wie oben ausgeführt auch immer wieder zu Brüchen innerhalb der Partei führen, in die Kritik miteinbezogen werden. Diese Widersprüchlichkeit macht sich auch in der Wirtschaftspolitik der FPÖ bemerkbar, in der ein fetischisierter und ressentimentgeladener „Antikapitalismus“ mit neoliberalen Programmatiken kollidiert. Die FPÖ als „neoliberale“ Partei zu kritisieren, ist eine falsche Vereindeutigung und dient der linken Selbstvergewisserung, dass die Thematisierung der „soziale Frage“ stets das alleinige Terrain der Linken wäre.

Dass mit solchen Inhalten in einem postnazistischen Land so erfolgreich Politik gemacht werden kann und mit der FPÖ Koalitionen eingegangen werden, ist bezeichnend. Es zeigt abermals auf, dass solche Positionen gesellschaftsfähig sind und nicht im luftleeren Raum herumirren. Das Problem heißt daher auch nicht FPÖ, sondern Österreich!

Was tun?
Die FPÖ ist keine rechtsextreme Randgruppe, der man mit den herkömmlichen antifaschistischen Aktionen beikommen könnte. Natürlich sind Gegenmobilisierungen zu ihren strategisch wichtigsten Events sinnvoll, ihre Wahlkämpfe könnten auch noch stärker und kreativer begleitet werden. Dennoch setzt innerhalb der antifaschistischen Linken eine Mischung aus Frustration und Gewöhnung ein. Frustration, da der FPÖ kein aktiver Schaden zugefügt werden kann und wir zu wenige sind. Gewöhnung, weil es den Anschein hat, dass rechtsextreme Aussagen zum Alltag geworden sind und keinen großen Skandal mehr hervorrufen. Die Politik greift die Debatten der Rechtsextremen auf, äußert Verständnis für die „Ängste der Bürger“. Ganz so, als sei es eine Naturnotwendigkeit, dass bei ein paar tausend Flüchtlingen der österreichischen Bevölkerung Angst und Bange wird. Viele Forderungen der FPÖ wurden und werden von den Regierungsparteien umgesetzt. Angesichts der österreichischen Zustände steht die antifaschistische Linke diesen Entwicklungen fast schon hilflos gegenüber. Dabei wäre der Kampf gegen die FPÖ gerade ein Kampf gegen jene österreichischen Zustände, in der autoritäre Einstellungen weit verbreitet sind. Und das macht die Sache auch so schwierig.

Auch in Bezug auf die aktuellen Debatten um Grenzzäune und Asylrechtsverschärfungen bleibt die radikale Linke merkwürdig stumm. Der Großteil des linken Protests schöpft sich in Forderungen und Petitionen, die auf den Staat gerichtet sind. Genau hier zeigt sich erneut die Schwäche und Ohnmacht der radikalen Linken: Anstatt zu versuchen, den zivilgesellschaftlichen Protest zu radikalisieren und die inneren Widersprüche aufzuzeigen, wird sich mit der eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit identifiziert und der Staat, dessen Grenzregime für dieses Schlamassel erst verantwortlich ist, wird angerufen doch endlich zu handeln.

Die aktuellen Herausforderungen der radikalen Linken stellen sich für uns wie folgt da: Wie können antifaschistische und antirassistische Abwehrkämpfe besser und zielgerichteter geführt werden? Und – vor allem – wie kann es geschafft werden, über diese Abwehrkämpfe hinaus zu kommen? Und wie lassen sich diese Kämpfe transnational organisieren? Betrachtet man die aktuelle gesellschaftliche Situation, so erscheint eine rechte Konterrevolution nicht nur als eine Möglichkeit, sondern muss vielmehr als eine realistische Option betrachtet werden. Die Wahlerfolge der FPÖ in Österreich, des Front National in Frankreich oder der AfD in Deutschland – ganz zu schweigen von Ungarn, dessen völkisches Krisenmanagement große gesellschaftliche Bereiche durchdrungen hat – schaffen es, rechtsextreme Positionen in der Gesellschaft hegemonialer werden zu lassen. Die Grenze des Sagbaren wird immer weiter nach rechts verschoben. Europäische Faschist_innen basteln derweilen an der völkischen Neukonzeption Europas und wittern Morgenluft. Hier muss eine antifaschistische Linke neue Strategien entwickeln, wie man diesem gesellschaftlichen Rechtsruck begegnen kann. Die Beantwortung dieser Frage hängt unmittelbar mit der zweiten zusammen. Angesichts der Schwäche der radikalen Linken in Österreich müssen wir Aufbauarbeit leisten. Nach dem Aufbau einer handlungsfähigen radikalen Linken, einer langwierigen und leisen politischen Arbeit, müssen wir raus aus der Szene und rein in das Handgemenge der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Die radikale Linke muss wieder an den Alltagserfahrungen und Kämpfen ansetzten und dabei ein Angebot schaffen. Sie muss Kämpfe vernetzen und politisieren und sich dabei einer Arbeitsteilung untereinander bewusst werden.
Beispielsweise müsste es geschafft werden, Geflüchtete als politische Subjekte ernst zu nehmen und hier Verbindungslinien zwischen unseren Kämpfen um ein besseres Leben jenseits von nationalstaatlichen Grenzregimen und kapitalistischer Ausbeutung herzustellen.

Denjenigen, die es unter Einsatz ihres Lebens schaffen, die tödlichen Grenzen der Festung Europa zu überwinden, wird hier staatlich organisiert das Leben zur Hölle gemacht. Sie werden zur Untätigkeit verdammt und in die gesellschaftliche Isolation gedrängt, sind dem alltäglichen Rassismus ausgesetzt und müssen in unterbezahlten prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Hier gibt es genug Anknüpfungspunkte, um keine Stellvertreter_innenpolitik zu führen, sondern unsere gemeinsamen Interessen zu verbinden und in unseren Kämpfen zu bündeln. Eine emanzipatorische Linke muss diese Debatte weiterführen und Handlungsperspektiven eröffnen. Wir laden alle dazu ein, sich gemeinsam mit uns diesen Herausforderungen zu stellen! Gelegenheiten wird es dazu genug geben.

Begriffsbestimmung Rechtsextremismus
Wir sind uns der Problematik, die mit dem Begriff des Rechtsextremismus zusammenhängt, bewusst. Wir beziehen uns hier auf den Rechtsextremismusbegriff, den das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) verwendet und der von Willibald I. Holzer ausformuliert wurde (Willibald I. Holzer: Rechtsextremismus. Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze. In: DÖW (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Wien, 1993). Holzer verwendet den Begriff nicht im Sinne einer totalitarismustheoretischen Gegenüberstellung von Rechts- und Linksextremismus, sondern als Terminus, in dem sich unterschiedliche Definitionsmerkmale bzw. Ideologeme zu einem Idealtypus (Max Weber) verdichten. Rechtsextreme Einstellungen werden so nicht als das ganz andere der „guten“ Mitte begriffen, sondern als extreme Steigerungsform bürgerlicher Wertevorstellungen. Aber warum konnte sich in Österreich ein ganz anderer Begriff des Rechtsextremismus durchsetzen als in Deutschland? Eine Differenzierung in „rechtsextremistisch“ oder „linksextremistisch“ wird in Deutschland entlang des Verhältnisses zur FDGO bestimmt. In Österreich gibt es aber in der Verfassung eine explizite Antinazigesetzgebung, nämlich die gegen NS-Wiederbetätigung (Verbotsgesetzt). Gleiches gibt es nicht für links. Diese Gesetzgebung führte aber auch dazu, dass Nazi nur genannt werden darf, wer gegen das Verbotsgesetz verstößt. Wer nicht dementsprechend verurteilt wird, da er eine strafbare Handlung gesetzt hat und dennoch Nazi genannt wurde, kann Anzeige wegen Verleumdung stellen, was entsprechend häufig geschah. Die Folge daraus war, dass ein Ersatzbegriff für (noch) nicht verurteilte Nazis entwickelt wurde, was schließlich zur inhaltlichen Ausdifferenzierung des Rechtsextremismusbegriff führte.

* Der Begriff „Buberlpartie“ spielt mit homoerotischen Anklängen auf eine (fast) reine Männergruppe an. Diese kamen aus dem direkten Umfeld von Haider und waren keiner Burschenschaft angehörig – hatten also keine direkte Verbindung zum Deutschnationalismus.

[1] http://autonome-antifa.net/index.php/20 … ylpolitik/

[2] http://keinspielfeld.noblogs.org/

[3] vgl. Heribert Schiedel (2007): Der rechte Rand.

[4] Hubert Stickinger, Jörg Haider; In: Anton Pelinka u.a., Kreisky – Haider. Bruchlinien österreichischer Identität (2008)

[5] J. Haider im Interview mit Die Presse (22.11.1989)

[6] Parteiprogramm der FPÖ (2005)

[7] H.C. Strache im Interview mit den Salzburger Nachrichten (26.11.2004)

[8] H.C. Strache im Interview mit der Austria Presse Agentur (APA) (2009)

[9] Parteiprogramm der FPÖ (2005)

[10] H. Vilimsky in einer APA-OTS (15.4.2009)

[11] H. Vilimsky in einer APA-OTS (2.5.2008)

[12] Heinz Thomann in Zur Zeit (16/2009)

[13] A. Mölzer in einer APA-OTS (4.4.2008)

[14] J. Gudenus im Interview mit dem Standard (25.8.2010)

[15] S. Winter im Interview mit dem Falter Steiermark (5/2007)

[16] A. Mölzer, Europa 2084. Orwell lässt grüßen – Kasandrarufe – der „worst case“ (2009)

[17] K. Klement im Interview mit profil (23.6.2008)

[18] Willibald Holzinger, Rechtextremismus. Konturen, Definitionsmerkmale, und Erklärungsansätze, In: Handbuch des österreichischen Widerstands (1993)

[19] Heribert Schiedel (2014): „National und liberal verträgt sich nicht“. Zum rechtsextremen Charakter der FPÖ. In: Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU): Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen – Band 1

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Am 11. Juni wollen Neofaschist*innen aus ganz Europa in Wien eine Demonstration abhalten. In ihren Augen steht Österreich auf einem Scheideweg: entweder arbeiten „Multikultis” und „Gutmenschen” weiter an der „Zersetzung des Volkskörpers” oder es kommt zu einer „patriotischen Revolution” nach dem Vorbild Ungarns. Neben dem Rechtsruck in verschieden europäischen Ländern wie Ungarn oder Polen fühlen sie sich auch durch das Wahlergebnis der österreichischen Bundespräsidentschaft in ihrer wahnhaften Ideologie bestärkt. Der Aufmarsch in Wien ist für die Neofaschist*innen aus Europa eine symbolische Machtdemonstration. Grund genug für uns als Antifaschist*innen diesen Versuch eine praktische Abfuhr zu erteilen und den Aufmarsch der „Identitären” zu verhindern!

Mit diesem Text wollen wir einerseits aufzeigen, dass dem völkischen Weltbild der „Identitären” nicht nur ein Rassismus und autoritärer Nationalismus innewohnt (wie schon an anderer Stelle ausführlich dargestellt wurde), sondern auch ein massiver Sexismus und Antifeminismus. Andererseits wollen wir einen Blick auf die sicherheitspolitische Debatte um „No-Go Areas” und die Kulturalisierung sozialer Konflikte werfen, die derzeit die mediale Berichterstattung in Österreich beherrscht und damit rechtsextremen Gruppen eine Steilvorlage für ihre Propaganda liefert.

Völkischer Krieg um die Gebärmütter – Gegen Sexismus im Alltag und im Staat!

Seit den massiven sexualisierten Übergriffen in der Silvesternacht in Köln, versuchen sich Rechte als “Frauenschützer” zu inszenieren. Auffallend hierbei ist dass diejenigen, die nun am lautesten nach dem Schutz für Frauen schreien, Gewalt gegen Frauen* ignorieren, wenn sie diese nicht ethnisieren und “Nordafrikanern und Arabern” zuschieben können. Die Thematisierung von Sexismus und patriarchalen Strukturen dient hier – auch dann wenn der Antisemitismus unter Migrant*innen zum Thema wird – der Projektion nach Außen, um sich selbst davon rein zu waschen. Oftmals wehren sich eben die, die nun die „Beschützer“ von Frauen geben, entschieden gegen deren grundlegensten bürgerliche Rechte. Dazu zählen das Recht über den eigenen Körper zu bestimmen oder etwa das Recht auf gleiche Entlohnung. Der Schutz für Frauen  wird darüber hinaus unter das völkischen Primat gestellt: nur „österreichische” oder „europäische” Frauen sollen diesen Schutz genießen. Der Rest erscheint im völkischen Weltbild wiederum als Bedrohung der eigenen Volksgemeinschaft, was sich auch im Diskurs der „türkischen Gebärmaschinen” sichtbar macht. Die Antwort darauf ist eine völkische „Familienpolitik”, in der Frauen* wiederum als Gebärmaschinen wahrgenommen werden. Ihr Körper wird darauf reduziert den „Ethnozid” durch möglichst viele „eigene” Kinder aufzuhalten. Frauen* erscheinen als wehrlose Objekte, welche von Fremden bedroht werden. Dieses  Ressentiment ist stark sexuell aufgeladen. Die Reinheit des Bluts des „Volkskörpers” ist direkt mit Sexualität und deren Kontrolle verbunden, da sich über sie entscheidet, wer Teil der Gemeinschaft wird und wer nicht. Folglich liegt ein Hauptaugenmerk auf der Kontrolle der weiblichen Sexualität der In-group und der männlichen Sexualität der Out-group. Letztere wird als übertrieben triebhaft imaginiert, also als besonders bedrohlich. Bei der Sexualität der Frauen* der In-group, wird nur Heterosexualität als vollwertig erachtet, kann doch auch nur so der „rassisch reine” Nachwuchs sichergestellt werden.

Hier trifft sich die faschistische Sorge um die als weiblich gedachte Gebärfähigkeit der völkischen Frau mit den Interessen staatlicher Bevölkerungspolitik. Das staatliche bevölkerungspolitische Interesse, Kontrolle über Quantität sowie Qualität der Gesamtbevölkerung zu erlangen, um die „optimale” Reproduktion der nationalen Gemeinschaft zu sichern, bedient sich einer breiten Palette an patriarchalen Regulierungs- und Disziplinartechniken. Das bekannteste davon ist wohl das Verbot von Abtreibungen, welches immer noch im österreichischen Strafgesetzbuch steht. Die faschistische und staatliche Disziplinierung der Frauen*körper weist hier bloß einen graduellen, kleinen prinzipiellen Unterschied auf. Während völkische Nationalist*innen die Frage nach Bevölkerungswachstum rassistisch beantworten, ist für Regierungsstellen „gemanagte” Migration auch eine Option. Der subjektlosen Herrschaft des Patriarchats, welche sich in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat, stellt die extreme Rechte das Bild der „natürlichen Ordnung” eines patriarchalen, von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen durchzogenen, Familienmodells entgegen. Wenn sich diese gegen jede Emanzipation gerichtete Forderung gesellschaftlich durchsetzt, stellt das einen massiven Angriff auf erkämpfte Frauen*rechte dar.

Die große Mehrzahl an Frauen* bekommen jeden Tag auf der Straße, in der Uni, in der Arbeit, beim Fortgehen zu spüren was es heißt, als Frau erkannt zu werden. Sexismus und sexualisierte Gewalt sind weiterhin alltäglich. Die Städte für Frauen* und alle anderen, die im öffentlichen Raum von Gewalt durch Männerbanden bedroht sind, sicherer zu machen, heißt, dieser Gewalt überall, an jedem Tag im Jahr entgegenzutreten. Wer von der sexualisierten Gewalt an Silvester und am Praterstern redet, aber von männlicher Dominanz und Rassismus, von Homophobie und Transfeindlichkeit nichts hören will, ist kein Verbündeter im Kampf gegen die patriarchale Zurichtung der Gesellschaft. Betroffene von Sexismus brauchen echte Unterstützer*innen  und keine falschen Freunde. Von (Hetero) Sexismus Betroffene sind keine wehrlosen Objekte, sondern wehren sich, da sie es tagtäglich müssen!

Sexismus, Rassismus und Sicherheitspolitik – Gegen die Kulturalisierung des Sozialen!

Praterstern, Brunnenmarkt, U6, Drogen Hotspots, Eisenstangenmörder, Kriminalität – das sind nur einige Schlagwörter, die derzeit die mediale Berichterstattung über die „No-Go Areas” in der österreichischen Bundeshauptstadt dominieren. In die Debatte mischt sich ein rassistischer und chauvinistischer Sicherheitsdiskurs, der soziale Konflikte kulturalisiert. Obdachlose, Dealer, Suchtkranke und viele andere Menschen, die nicht ins angestrebte Stadtbild passen, werden hier vor allem als Bedrohung und potentielle Täter (nicht nur von sexualisierter Gewalt) wahrgenommen. Die Antwort ist dann nicht mehr solidarische Hilfeleistungen für Betroffene von sozialen Ausschluss (mit all den Folgen die dieser bewirkt), sondern mehr Polizei und Repression.

Kriminalität, also alle Praktiken und Verhaltensweisen die vom Staat kriminalisiert werden, wird zunehmend nicht mehr als ein soziales Phänomen angesehen sondern als ein moralisches. Kriminalität erscheint so als blinder Akt des Bösen von moralisch verkommenen Akteur*innen und wird auf diese Weise individualisiert. Dementsprechend geht es auch nicht um die Bekämpfung von Armut, Benachteiligung und Ausschluss, sondern um sicherheitspolitische Techniken der sozialen Kontrolle und Überwachung, des Strafens und Ausschließens. Dies korrespondiert mit dem neoliberalen Rückbau sozialer Sicherungssysteme, was einerseits zur Verschärfung sozialer Ungleichheit führt und andererseits zu einer Verunsicherung breiter Schichten. Dieser als unspezifischen Bedrohung wahrgenommen Entwicklung, wird wiederum mit einer sicherheitspolitischen Verwaltung des bestehenden Elends beantwortet. Benachteiligte erscheinen in dieser die Gesellschaft durchziehenden Perspektive nicht mehr als Mitmenschen, denen Solidarität und Unterstützung entgegengebracht werden sollte, sondern als potentielle Täter. Ganz zu Schweigen von den haarsträubenden Ressentiments die gegen Obdachlose, Arme und Suchtkranke gehegt werden.

Neben dieser Individualisierung von Kriminalität, die den Zusammenhang von Armut, Benachteiligung und Kriminalität übersieht, werden soziale Verhältnisse zunehmend kulturalisiert. In der mit der Kulturalisierung einhergehenden Naturalisierung und Verewigung sozialen Verhaltens – dem „wir” oder „die sind halt so” – liegt auch eine kapitalistische Funktion. Soziale Konflikte werden in kulturelle umgedeutet. Die als Kulturen gegenübergestellten und als solche „respektierten” gesellschaftlichen Widersprüche sind damit nicht mehr bekämpfbar, sondern werden als kulturelle Eigenheiten angesehen. Die Andersartigkeit von Menschen folgt nach dieser Logik dann nicht mehr aus deren sozialer Situation, sondern aus ihrem kulturellen Hintergrund.

Das ist auch der Angriffspunkt der extremen Rechten. Diese beschwören einen „Kampf der Kulturen” und nutzen jedes ihnen passende Ereignis um es rassistisch auszuschlachten. So fordern sie die Abschiebung „krimineller Ausländer” und erhalten für solche Positionen Applaus aus großen Teilen der Bevölkerung. Damit werden völkisch-rassistische Postionen und die dahinterstehenden und immer wieder in Parolen gepackte Forderung nach einer territorialen Zurückeroberung und gewaltsamen Vertreibung der Gemeinschaftsfremden, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Thematisierung der „Verbrechen der Anderen”, die durch ihre Doppelmoral besticht, hat in der extremen Rechten eine lange Tradition. Neben Projektion und Propaganda geht es hier auch um die Entlastung und die Reinwaschung des „Eigenen”. Es geht weniger um die Tat an sich und schon gar nicht um die Opfer, sondern um eine Instrumentalisierung von Vorfällen für völkisch-nationalistische Zwecke.

Never let the fascists have the streets – Für ein gutes Leben für alle!

Die Ausgeschlossenen und Marginalisierten sind aber auch nicht automatisch ein revolutionäres Subjekt, sondern oft genug selbst Träger*innen reaktionärer Ideologien (das hat nicht nur zuletzt die Bundespräsidentschaftswahl aufgezeigt). Die „objektiven Verlierer*innen” des Bestehenden müssen nicht automatisch das subjektive Interesse am Besseren haben. Im Supermarkt der reaktionären Ideologien gibt es verschiedene Angebote wie Islamismus, Nationalismus oder eben Rechtsextremismus, die miteinander konkurrieren. Doch diese sich angeblich so feindlich gegenüberstehenden Ideologien sind sich näher, als sie es von sich selber glauben möchten. Es geht um die autoritäre Befriedung gesellschaftlicher Widersprüche und um den Ausschluss derer, die nicht zum repressiven Kollektiv dazugezählt werden.

Einer linksradikale Perspektive, die über antifaschistische und anti-sexistische Abwehrkämpfe hinausweisen will, weil es mit der Emanzipation des Menschen von Herrschaft, Ohnmacht und Unterdrückung doch noch etwas werden soll, sollte sehr daran gelegen sein reaktionäre Ideologien in die Schranken zu weisen und Ideologiekritik in den Fokus der Analyse zu stellen. Denn auch wenn der Kapitalismus eine jeder Vernunft spottende Veranstaltung ist, welche die Menschen zutiefst entstellt und zurichtet, ist das keine Entschuldigung dafür reaktionäre Ideologien anzunehmen. Die Reflexion über diese unvernünftige Gesellschaftsordnung ist die Voraussetzung für die Überwindung der falschen Verhältnisse. In unseren kollektiven Kämpfen gegen Sexismus und Rassismus, gegen patriarchale Strukturen und rassistischen Ausschluss, werden Risse des herrschenden Konsens sichtbar, die es zu erweitern gilt. Denn ein gutes Leben für alle ist nur mit der Abschaffung des Kapitalismus und des Patriarchats zu haben.


In diesem Text werden verschiedene Formen verwendet, um Geschlechterverhältnisse sprachlich darzustellen. Wir verwenden /Frau/ bzw. /Mann/, wenn wir uns auf reaktionäre Verhältnisse beziehen, um deutlich zu machen, dass in eben dieser Logik Geschlecht stets binär und biologistisch gedacht wird. In diesem Zusammenhang verwenden wir auch fallweise das generische Maskulinum, um die sprachliche Reproduktion hegemonialer Männlichkeit innerhalb der oben genannten binäre Sichtweise aufzuzeigen.

/Frau*/bzw. /Mann*/schreiben wir hingegen, um Geschlecht sprachlich weiter fassen zu können: es sollen damit alle Menschen berücksichtigt werden, die sich dem jeweiligen Geschlechterkonstrukt zugehörig fühlen – unabhängig davon, welches ihnen aufgrund der gesellschaftlichen Normativität zugeschrieben wird. Wenn wir uns auf keine spezifischen Geschlechtskonstrukte beziehen, sondern alle Gender meinen, verwenden wir das Gender-Sternchen.