Ahmad Abu Marhia war 25 Jahre alt, als er in der besetzten Westbank enthauptet aufgefunden wurde. Sein Verbrechen? Er war queer. Seine Mörder trugen keine israelische Uniform – sie handelten unter palästinensischer Flagge. Ahmad steht für Tausende, die von islamistischen Milizen in Gaza und der Westbank verfolgt, gefoltert oder ermordet werden.
Für queere Menschen, Frauen, Linke und Minderheiten, bedeutet die Herrschaft der islamistischen Hamas und des Islamischen Dschihad Unterdrückung, Verfolgung und Tod. Doch viele, die hier im Westen mit Palästina-Fahnen gegen christliche Fundamentalist:innen demonstrieren, blenden das Schicksal dieser Menschen aus.
In ihrer notwendigen Kritik an christlichem Fundamentalismus zeigt sich ein unheilvoller blinder Fleck.
Wie kann man einerseits vorgeben religiösen Fundamentalismus zu bekämpfen – und andererseits mit Organisationen zusammenarbeiten, die entweder durch taube Toleranz oder aus Zweckrationalität fundamentalistische Kräfte wie die Hamas als gerechten Widerstand feiern?
Während also hier in Europa zurecht gegen christlichen Fundamentalismus und die in ihm angelegte Homo- und Transfeindlichkeit protestiert wird, schweigen dieselben Aktivist:innen, wenn es islamischer Fundamentalismus ist, der queere Menschen ermordet. Während queere Menschen in Gaza und der Westbank in ständiger Todesangst leben, nicht nur vor israelischen Bomben, sondern auch vor der Hamas und islamistischen Milizen. Wie kann fundamentalistischer Islamismus im Namen der Pride verharmlost werden, während es genau jene Kräfte im „Nahen“ und „Mittleren Osten“ sind, die unter der Fahne des arabischen Nationalismus oder Islamismus jede Emanzipation von Queers im Keim ersticken? Alleine in Iran wurden seit der islamistischen Revolution 1979 über 4.000 homosexuelle Menschen hingerichtet. Derselbe Iran finanziert und befiehlt auch Hamas und Hisbollah in ihrem Krieg gegen Israel.
Seit jeher dient Israel als Projektionsfläche für alle Brutalitäten, die moderne Staatlichkeit an sich ausmacht: Denn JEDER Nationalstaat ist „künstlich“ und gründet auf Gewalt, Vertreibung, Krieg und Homogenisierung nach innen sowie nach außen.
Es ist jedoch kein Zufall, dass der Krieg in Gaza nicht zu einer generellen Kritik an Staat und Nation führt, sondern zu einer gefährlichen Doppelmoral: Während andere Staaten als „natürlich“ akzeptiert werden, wird sich alleine die Vernichtung des jüdischen Staates gewünscht. Wäre es anders, dann würde man nicht das Leid der Menschen im Sinne „nationaler Befreiung“ verdoppeln, sondern die Nation gänzlich abschaffen wollen. Wo zwei Gruppen Ansprüche auf dasselbe Stück Land erheben, gibt es keine revolutionären Lösungen. Die Unterdrückungsverhältnisse werden nicht durch das Hissen von Nationalflaggen aufgelöst, sondern durch die allgemeine Befreiung aller Menschen aus genau jenen nationalen Logiken.
Der Linken ging es einmal darum, gesellschaftliche Verhältnisse zu verstehen, zu erklären und zu verändern. Doch heute zählt nur noch, sich auf eine Seite zu schlagen. Es geht nicht mehr darum, gesellschaftliche Herrschaft, die uns als Totalität gegenübertritt, in ihren Widersprüchen, Rissen und Brüchen zu verstehen und daraus die Möglichkeit ihrer Aufhebung zu erkennen. Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten werden heute vielmehr als Gefahr für das eigene Weltbild begriffen.
Wer darauf hinweist, dass der Krieg am 7. Oktober mit antisemitischen Massakern begann, dass Geiseln noch immer in Gefangenschaft sind und Raketen genauso auf israelische Zivilisten fliegen, wird als Kriegstreiber diffamiert. Jede Kritik an der Hamas und ihrem brutalen Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung wird absichtlich als Rechtfertigungsversuch für das brutale Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza umgedeutet. Statt eines Versenkens des Verstands in ideologische Gewissheiten, sollten wir in unserer Analyse die Fähigkeit kritischen Denkens bewahren und nicht in vereinfachende Erklärungsmodelle verfallen.
Manche gehen sogar soweit, die Narrative der Hamas vollständig zu übernehmen und leugnen die sexualisierte Gewalt und die massenhafte Ermordung von israelischen Zivilist:innen am 7. Oktober – obwohl die Täter ihre Verbrechen dabei sogar selbst voller Stolz filmten und im Internet verbreiteten.
Andere schließen „Zionist:innen“ von ihren Veranstaltungen aus, ohne zu verstehen: Für 90% der Jüdinnen :Juden weltweit bedeutet Zionismus schlicht das Recht auf Selbstschutz nach den Grauen der Shoah oder aufgrund einer Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte in vielen Ländern. Abgesehen davon gibt es DEN Zionismus nicht in einer Form, sondern mit anarchistischen, sozialistischen, konförderalistischen Vorstellungen – wie in der Kibbuz-Bewegung – bis hin zu konservativen und rechtsextremen Versionen, die sich ein homogenes Groß-Israel wünschen. Zionismus bedeutet allgemein nichts anderes als die nationale Selbstbestimmung von Jüdinnen:Juden, in einer nationalstaatlich organisierten Welt, die bei der Vernichtung der Juden tatenlos zugesehen hat.
Anders ausgedrückt: wer auf seiner Feier keine „Zionisten“ haben will, richtet damit 90% aller Jüdinnen:Juden weltweit aus, dass sie nicht willkommen sind und kein Teil der Linken sein können. Wer so tut, als sei „Zionist“ ein Synonym für Unterdrücker, verwechselt linke Kritik mit rechter Feindmarkierung. Wer mit „Zionist“ eigentlich die ultrarechte Regierung Israels meint, tut ihnen damit sogar einen Gefallen und trägt zu ihrer Selbstinszenierung bei.
Und ja: Die israelische Regierung setzt auf extrem rechte, nationalistische Militarisierung. Sie behauptet so die Bevölkerung zu schützen – aber wir sehen: Das Töten und die Kriegsverbrechen in Gaza gehen weiter, tausende Zivilist:innen sterben und die Geiseln sind bis heute nicht befreit.
Solidarität bedeutet nicht, eine Seite zu wählen, denn der Kampf für Freiheit ist kein Fußballspiel und die Menschen in der Region sind nicht die Projektionsfläche für die revolutionären Sehnsüchte der westlichen Linken. Genau jenen Menschen Vorort und allen Opfern des Islamismus weltweit schulden wir es, nicht unserem Bedürfnis nach einfachen Antworten auf eine komplexe Realität nachzugeben. Das selbstbezogene Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen und sich in einer Welt frei von Widersprüchen zu bewegen, darf uns nicht die Sicht darauf verstellen: Die Hamas ist keine Befreiungsbewegung. Sie ist eine religiös-faschistische Organisation. Sie setzt auf autoritäre Kontrolle, nicht auf Emanzipation. Sie braucht den Krieg zur Legitimation ihrer Gewalt. Sie verlängert mit ihrem Märtyrerkult nur das Leiden, anstatt es zu beenden. Wer sich mit ihr solidarisiert, macht sich blind für ihren Inhalt. Wer ihre Symbole trägt, normalisiert ihre Politik. Wer ihre Agenda romantisiert, nimmt ihren Vernichtungsantisemitismus in Kauf. Und verrät all jene, die sich in Gaza gegen die Terrorherrschaft der Hamas und für ein Ende des Krieges unter Lebensgefahr einsetzen.
Wir sind solidarisch mit der Zivilbevölkerung – in Israel wie in Gaza und der Westbank. Wir stehen mit all jenen Menschen, die sich gegen den Krieg und für das gute Leben für alle einsetzen. Unsere Solidarität gilt nicht Regimen, Milizen oder Regierungen, sondern jenen, die versuchen, gegen die Gewaltverhältnisse zu bestehen. Es geht darum, jenen die politische Solidarität zu versichern, die nicht mehr im Takt der Gewalt marschieren wollen.
„Wer von Befreiung träumt, von den Schattenseiten des Befreiungskampfes aber nichts wissen will, hängt naiven Revolutionsvorstellungen nach, die dessen Wirklichkeit nicht standhalten. Wir wollen uns nicht an Legenden und Bilder klammern, die weniger unseren Erfahrungen als vielmehr naiven Projektionen oder aber handfesten Verdrängungen geschuldet sind. Wem nützen wir damit, wenn wir unter dem Banner des Internationalismus eine falsche Einheit vorgaukeln, während hinter den Kulissen die Gegensätze aufeinanderprallen. Nur wenn wir uns illusionslos mit den tatsächlichen politischen und ideologischen Widersprüchen auseinandersetzen, werden wir mit ihnen umzugehen wissen, sobald wir damit konfrontiert werden.“ (Aus dem Text: Revolutionäre Zellen – Gerd Albartus ist tot)
Für das Leben – gegen den Tod. Gegen jede Märtyrer-Romantik.
Kein Staat befreit. Keine Miliz emanzipiert. Keine Fahne. Kein Mythos. Keine Held:innen.
Solidarität heißt nicht: Seite wählen. Solidarität heißt: sich der Vereinnahmung entziehen.
Jin Jiyan Azadi. Für einen Kampf gegen JEDEN Fundamentalismus.
Für PRIDE von Teheran bis Ramallah. Für eine queere Zukunft, ohne Illusionen.