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Jedes Jahr dieselbe Scheiße?!

Warum wir uns nicht an den Protesten zum WKR-Ball beteiligen…

So lautete bereits 2011 der Slogan der Proteste gegen den damaligen Ball des Wiener Korporations Rings (WKR), später Akademikerball, maßgeblich getragen durch das 2015 aufgelöste linksradikale autonome NOWKR-Bündnis. Vor einigen Jahren noch meinten die damaligen Genoss:innen mit besagter sich stets wiederholender Scheiße den rechtsextremen Umtrunk in der Wiener Hofburg. Über zehn Jahre später, ließe sich dasselbe Motto in gewisser Weise auch auf die linken Proteste gegen den Ball übertragen. Mit folgendem Text wollen wir erklären, warum wir uns nicht an den diesjährigen Mobilisierungen und Demonstrationen gegen den Akademikerball beteiligen werden. Dabei wollen wir in einem ersten Schritt ausführen, warum wir die Proteste zwar bis Anfang der 2010er Jahre zu den großen antifaschistischen Erfolgen des letzten Jahrzehnts zählen. Gleichzeitig ist es uns jedoch wichtig, den Umstand zu kritisieren, dass diese Proteste in den letzten Jahren zu einem ritualisierten Traditionsantifaschismus verkommen sind, der die gesunkene Relevanz des Events verkennt. Im zweiten Teil führen wir aus, warum wir nicht (länger) mit linken Antisemit:innen gemeinsam gegen die Antisemit:innen in der Hofburg auf die Straße gehen wollen.

Von antifaschistischen Erfolgen zum Tradidtionsantifaschismus

Immer wieder trafen sich Jahr für Jahr Neonazis, Burschenschafter, sympathisierende Wirtschaftstreibende und Prominente, Politiker:innen der FPÖ und das Who is Who der europäischen Rechten in jenem repräsentativen Ort in der Innenstadt Wiens. Ab 2008 wurden sie dabei jedoch von antifaschistischen Protesten gestört, die dazu führten, dass der WKR-Ball 2011 eigentlich aus der Hofburg verbannt wurde, nachdem die Burghauptmannschaft dem WKR dank des Drucks von der Straße tatsächlich den Vertrag kündigte. Seit 2012 wird der Ball aber unter dem neuen Namen Akademikerball unter der Schirmherrschaft der FPÖ weiter ausgerichtet – anderer Name, selbe Scheiße eben. Auch die Besucher:innenzahl hat von Jahr zu Jahr deutlich abgenommen und der Ball schien nicht mehr DAS Stelldichein des europäischen Rechtsextremismus zu sein. Gleichzeitig wurden die Gegenproteste immer stärker. Allein im Jahr 2014 besuchten bis zu 8000 Personen die autonome Demonstration unter dem Motto „Unseren Hass den könnt ihr haben“, welche in kleineren Scharmützeln mit der Wiener Polizei am Stephansplatz endete. Auch an der OGR-Demonstration beteiligten sich im gleichen Jahr etwa 5000 Antifaschist:innen. Es war unterschiedlichen antifaschistischen Akteur:innen also über viele Jahre hinweg gelungen, viele Menschen für ihre Anliegen zu gewinnen und große Mobilisierungen gegen dieses jährliche rechtsextreme Event zu stemmen. Bestimmte Teilerfolge konnten auch verzeichnet werden. Und Jahr für Jahr wurden die autonomen Proteste gegen dieses rechtsextreme Stelldichein mit Repressalien überschüttet, immer wieder verboten und gegen das NOWKR-Bündnis sogar nach §278 StGB (krimineller Vereinigung) – immerhin erfolglos – ermittelt.

Der Gedanke an weitere Mobilisierungen und Proteste hatte spätestens mit dem Jahr 2015 einen bitteren Beigeschmack. Schon vor den enormen Repressalien stand deshalb für unsere Genoss:innen von NOWKR fest, das Bündnis mit einem selbstkritischen Statement aufzulösen. [Link Statement https://web.archive.org/web/20160303204151/http://nowkr.at/, https://www.derstandard.at/story/2000011915053/nowkr-buendnis-loest-sich-auf, https://wien.orf.at/v2/news/stories/2695799/]

Diese Entscheidung fiel aus gleich mehreren Gründen: 

  •     1) Repression: 

Die Polizei nimmt diesen Tag spätestens seit 2014 zum Anlass, linken Protest mit absurden Aufgeboten und Repressalien zu kriminalisieren. Marodierende, hochgerüstete Prügelcops, Drohnen, Kameras, Zivis, riesige Sperrzonen um den Ball und eine Festnahmen- und Anklagenflut versuchten und versuchen jeglichen Protest einzudämmen. Hier stellte sich also die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit in Anbetracht dessen, was der Ball inzwischen darstellte.

  • 2) Scheitern linksradikaler Öffentlichkeitsarbeit: 

Im Gegensatz zum zweiten Bündnis, das seit vielen Jahren ebenfalls gegen den Ball mobilisiert – der Offensive gegen Rechts – ging es den Genoss:innen von NOWKR niemals „nur“ um den Ball. Sie versuchten, linksradikale Kritik viel allgemeiner an den gesellschaftlichen Verhältnissen – nicht allein den Ball selbst – ins Zentrum ihrer Bestrebungen zu rücken. Die Nazis in der Hofburg betrachteten sie vielmehr als die Spitze des Eisbergs einer falsch eingerichteten Welt. Das Zielpublikum ihrer Mobilisierung waren zuallererst autonome, linksradikale Antifaschist:innen, welche damals auch zu Tausenden nach Wien kamen. Die Polizei schaffte es jedoch, ein öffentliches Klima zu erzeugen, das es dem Bündnis unmöglich machte, ihre Inhalte in die Gesellschaft zu tragen. Wordings von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ und „man habe an diesem Tag erfolgreich Menschenleben geschützt“, wurden von Staat und Behörden ins Feld geführt. Nicht nur weite Teile der Zivilgesellschaft glaubten dem Wording schließlich, auch Linke sind darauf eingestiegen und haben die Spaltung in „gute“ und „böse“ Antifaschist:innen mitgetragen. Das Ziel, linksradikale Inhalte durch Medien öffentlichkeitswirksam zu erzählen, wurde verfehlt, auch wenn die Proteste oft wochenlang in den Nachrichten waren.

  • 3) Sinkende Bedeutung des Events selbst: 

Einen weiteren wichtigen Grund hat NOWKR ebenfalls angeführt: Das Event sei für Link(sradikal)e inzwischen weitaus wichtiger geworden, als er an Bedeutung für die extreme Rechte noch darstellt. Mit Traditionen sollte man brechen. Es sollte nicht darum gehen aus Selbstzweck auf die Straße zu gehen, sich im Angesicht mit Robocops ein wenig Adrenalin zu holen und schließlich mit dem befriedeten Gewissen, doch etwas gegen Nazis getan zu haben ins Bett zu gehen. Vielmehr wollten die Genoss:innen eine Debatte anregen, was linksradikale (autonome) Politik sein kann oder soll und was nicht.

Auch wenn wir vieles rückblickend anders sehen und manche Schlüsse inzwischen anders reflektieren, schließen wir uns in weiten Teilen den Worten des NOWKR-Bündnisses auch heute Jahre später an. Wir werden uns in diesem Jahr nicht an den Protesten gegen den Akademikerball beteiligen. Jedoch ist anzuerkennen, dass der Ball nach wie vor stattfindet, immer noch europäische Rechtsextreme daran teilnehmen und sich dort auch vernetzen können. Nach den Recherchen des correctiv-Kollektivs zum „Geheimtreffen“ von AfD und anderen Rechtsextremen in Potsdam ist dieser Umstand trotz unserer Entscheidung noch einmal deutlicher hervozuheben. Wir stehen also kritisch solidarisch mit allen Antifaschist:innen, die sich gegen den Ball organisieren und auf die Straße gehen! Rechtsextreme Vernetzungstreffen (seien sie geheim oder im Zentrum Wiens) sind grundsätzlich ein Problem und es ist begrüßenswert, wenn diese auf kreative Art und Weise kommentiert werden. Jenes in der Hofburg ist vielleicht nicht das Wichtigste, aber immerhin immer noch eines davon.

Warum wir uns dieses Jahr nicht an den Protesten beteiligen!

Gebetsmühlenartiges Veranstalten eines Schaulaufens

Nun fehlen nur noch ein paar Worte an das Bündnis Offensive Gegen Rechts. Anders als die linksradikale Kritik am „Burschi-Ball“, die stets auch mit einer Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse verbunden wurde, waren die Proteste der OGR immer schon stärker auf das eigentliche rechtsextreme Event in der Hofburg fixiert. Ein Zugang, der besonders in breiteren zivilgesellschaftlichen Bündnissen häufig  anzutreffen ist. Strategien dürfen und sollen unterschiedlich sein und nebeneinander stehen. Leider  beteiligte sich das Bündnis aber mitunter auch bei der Spaltung von Antifaschist:innen und ließ sich von bürgerlicher Presse und Bullen immer wieder ins Eck der „guten“ Antifaschist:innen drängen, ohne Widerspruch einzulegen und den Fokus zu verschieben. Kann vielleicht auch passieren, darüber kann man streiten. Aber auch das gebetsmühlenartige Veranstalten des Schaulaufens entlang des Rings in der Wiener Innenstadt als einzige, übrig gebliebene Ausdrucksform des Bündnisses ist uns schleierhaft. Schließlich sind auch die Zahlen der Protestierenden in den letzten Jahren deutlich zurück gegangen. Zudem gäbe es so viele rechtsextreme Veranstaltungen, Aktionen und Vernetzungstreffen, gegen die es zu kämpfen gelte, die aber von genau jenen zivilgesellschaftlichen Bündnissen kaum aufgegriffen wurden und werden. In einem kürzlich veröffentlichten Text, haben wir auch wieder auf genau diesen Umstand hingewiesen: Dass wir mehr oder weniger alleine gegen das Treffen von den Nazis Sellner, Kubitscheck und Krah in der ÖLM mobilisiert haben, sich am Tag danach jedoch zivilgesellschaftliche Bündnisse am Ring selbstbeweihräuchert haben.

Keine Kumpanei mit Antisemit:innen…

Ein Umstand jedoch, den wir dem Bündnis auch bereits vor Veröffentlichung des Textes zugetragen haben, der uns dieses Jahr neben allen anderen Inhalten in besonderer Weise dazu geführt hat, die Zusammenarbeit zu verweigern, ist, dass wir kein Interesse an einer Kumpanei mit Antisemit:innen haben. Ja, wir sind auch nicht immer konsequent gewesen und man kann uns zurecht vorwerfen, in den letzten Jahren immer wieder weggeschaut zu haben und mit Gruppen mit stellenweise antisemitischen Positionen gearbeitet zu haben, wenn uns bestimmte Inhalte und damit verbunden auch Bündnisse wichtiger waren oder wir auch nicht die Energie hatten, die Kritik an linkem Antisemitismus schon wieder einbringen zu müssen. Wir sind undogmatisch und wollen Entscheidungen immer wieder reflektieren und neu bewerten. Nach dem 07. Oktober ist die Welt aber nicht mehr dieselbe. Wir werden nicht gemeinsam mit Antisemit:innen am Ring gegen andere Antisemit:innen in der Hofburg demonstrieren. Wir werden nicht mit Gruppen wie Young Struggle, RSO, PdA, der Funke oder der KJÖ gemeinsam auf der Straße stehen. Alles Gruppen, die seit Jahren mitunter antisemitische und autoritäre Positionen vertreten, mitunter Gruppen, die seit dem 07. Oktober keine Gelegenheit ausgelassen haben, den islamistischen Terror zu relativieren, teilweise sogar zu bejubeln, permanent das Existenzrecht Israels -als einzigen Schutzraum für Jüdinnen und Juden weltweit- zu bestreiten und kein Problem damit haben, mit Antisemit:innen, türkischen Faschist:innen und Islamist:innen gemeinsam auf die Straße zu gehen. Nur ein konkretes Beispiel von mehreren: die Gruppe „Young Struggle“. Seit dem 10. Oktober gibt es einen gepinnten Beitrag auf dem Instagram Profil des überregionalen Accounts, der in positiver Weise auf den „Gefängnisausbruch des palästinensichen Volkes“ Bezug nimmt und sogar das Wording der Hamas „Al-Aqsa Flut“ verwendet. So nennt die islamistische Mörderbande nämlich die „Operation“ vom 7. Oktober, also das massenhafte Abschlachten von Jüdinnen und Juden, Vergewaltigen von Frauen, Entführen von Babies, Holocaust Überlebenden und anderen Zivilist:innen. Auch die Wiener Gruppe spricht ähnlich vom Progrom des 7.10.: Auf der Demonstration gegen Grenzregime am 03.02. in Innsbruck sprach die Gruppe von „unzähligen zivilen Palästinenser:innen, die mit Freudentränen endlich wieder den Boden ihrer Heimat (also Israel) betreten hätten“. Das ist roher Antisemitismus und Menschenverachtung. Auch die autonome antifa [w] ist 2012 bereits aus dem Bündnis ausgetreten, damals aufgrund der antisemitischen Positionen des „ArbeiterInnenstandpunkt“, welcher neben den genannten Gruppen auch bis heute auf der Bündnisliste von OGR auf deren Homepage zu finden ist. (https://web.archive.org/web/20200119230017/antifaw.blogsport.de/2011/10/11/stellungnahme-austritt-aus-dem-buendnis-offensive-gegen-rechts-ogr/)

Es liegt uns fern, alte Konflikte aufflammen zu lassen. Wir wollen aber Streit und Debatte darum anregen, mit wem man als (radikale) Linke zusammenarbeitet und mit wem sich eine Zusammenarbeit schlichtweg aufgrund mangelnder geteilter Gesellschaftsanalysen nicht mehr ausgeht oder mit wem wir einfach nichts mehr zu tun haben wollen. Als Antifaschist:innen können und wollen wir die Selbstverständlichkeit, mit der antisemitische Gruppierungen in der Linken akzeptiert und hofiert werden, nicht  länger mittragen. An einem Bündnis, dem antisemitische Gruppen angehören, werden wir uns daher nicht beteiligen bzw. ein solches unterstützen. Weder als Teil des Bündnisses (was wir als Plattform Radikale Linke nie waren), noch in Zusammenarbeit. Antisemitismus bei Neonazis oder der FPÖ zu finden und kritisieren ist nicht schwer. Ihn in den eigenen Reihen zu sehen und anzugreifen kann weh tun und uns unbeliebt machen, ist aber bitter notwendig. Zum aktuellen Zeitpunkt können wir natürlich nicht ausschließen, dass wir in der Zukunft gemeinsam an Demonstrationen teilnehmen werden, aber das sind Widersprüche, um die es zu streiten und die es auszuhandeln gilt. Wir wollen Kritik im Handgemenge und uns in diesem klar positionieren. Auch wenn es unangenehm ist und uns keine Sympathien einbringen wird.

Gegen die falsch eingerichtete Welt und verkürzte Analysen derselben. Gegen jeden Antisemitismus.